Mogelpackung mit verheerenden Folgen

17. Dezember 2020

Der Gesetzesentwurf zur Verschärfung der Regeln für den Familiennachzug von Schutzbedürftigen bringt nur Nachteile und Probleme. Trotzdem will der Ständerat weiter daran festhalten.

Peter Meier, Leiter Asylpolitik SFH

Geschlagene vier Jahre. So lange bastelt Bundesbern nun schon am sogenannten «Status S» für vorübergehend Schutzbedürftige herum. Konkret verlangt eine parlamentarische Initiative des früheren FDP-Ständerats Philipp Müller verschärfte Regeln für den Familiennachzug: Dieser soll für Schutzbedürftige mit S-Status künftig erst nach drei Jahren und mit ökonomischen Auflagen erlaubt sein – gleich wie für vorläufig aufgenommene Personen. Die dafür ausgearbeitete Vorlage ist umstritten: Der Ständerat winkte den Gesetzesentwurf seiner Kommission in der ersten Runde unverändert durch, obwohl dieser in der Vernehmlassung auf breite Ablehnung gestossen war – namentlich bei den Kantonen. Der Nationalrat lehnte die Vorlage in der letzten Herbstsession indes ab. Jetzt hat sie der Ständerat darum ein zweites Mal behandelt – und beschlossen, weiter daran festzuhalten. Ein Ende ist nicht abzusehen.

Das Absurde daran: Der Status S ist faktisch eine asylpolitische Totgeburt – seit bald einem Vierteljahrhundert im Asylgesetz festgeschrieben, aber bis heute kein einziges Mal angewendet. Der S-Status ist denn auch als Notbremse konzipiert für den Fall, dass dem Schweizer Asylsystem wegen ausserordentlich hoher Gesuchzahlen der Kollaps droht. Er wurde 1998 eingeführt als Reaktion auf die Fluchtbewegungen im Zuge der Balkankriege und sollte notfalls die rasche vorübergehende Schutzgewährung für grössere Flüchtlingsgruppen erlauben, um so das Asylsystem kurzfristig zu entlasten. Das ist der Zweck des S-Status – und die Bedingung für seine Anwendung ist eine absehbare Überlastung der Asyl-Regelstrukturen. Doch davon sind wir heute weit entfernt – zumal die Verfahren inzwischen massiv beschleunigt wurden und die Asylgesuchzahlen in Europa und in der Schweiz seit Jahren kontinuierlich sinken. Kurzum: Keine der Prämissen für den S-Status ist erfüllt. Mit den Regeln für den Familiennachzug hat das nichts zu tun, auch wenn uns das die Verfechter der Verschärfung seit vier Jahren weismachen wollen – ohne jeden Beleg, notabene.

Weder kohärent noch zielführend

Nein, der von der FDP initiierte und vom Ständerat so hartnäckig verteidigte Gesetzesentwurf ist eine dreiste Mogelpackung. Er gibt vor, rechtliche Kohärenz zu schaffen im Bereich des Familiennachzugs. Aber nicht einmal das stimmt: Die SFH kritisiert seit Jahren, dass die Hürden für den Familiennachzug von vorläufig Aufgenommenen unnötig und unverhältnismässig hoch sind und deshalb abgebaut werden müssen. Doch mit dem S-Status würden sie durch die geplante Verschärfung für die Betroffenen nicht wie behauptet gleich hoch, sondern sogar noch ein gutes Stück höher. Denn sie wären für fünf Jahre von allen Integrationsleistungen ausgeschlossen. Die ökonomischen Auflagen so erfüllen zu können, wäre ein nahezu unmögliches Unterfangen – insbesondere eine bedarfsgerechte Wohnung und einen Job zu haben, der die Lebenskosten der ganzen Familie vollständig deckt.

Geradezu zynisch ist daher das eigentliche Ziel der Befürworter: «Für Kriegsvertriebene und Personen aus unsicheren Herkunftsregionen soll nicht mehr der Status der vorläufigen Aufnahme, sondern der vorübergehende Schutzstatus angewendet werden», postuliert das entsprechende FDP-Positionspapier. Der für Notlagen gedachte Ausnahmefall soll also zum Regelfall in Normalzeiten werden – und die verschärften Familiennachzugsregeln sollen dafür den Weg ebnen.

Eine solche grundlegende Zweckänderung hätte verheerende Folgen angesichts der unzähligen Mängel des S-Status, die selbst der Bundesrat einräumt. Allen voran: Mit dem S-Status hätten die Betroffenen noch weniger Rechte als vorläufig Aufgenommene heute, keinerlei Anspruch auf Fördermassnahmen zur Arbeitsmarktintegration, keine Möglichkeit, ihre Angehörigen in die Schweiz zu holen. An eine rasche Integration wäre unter diesen Umständen nicht zu denken – und dies, obwohl aufgrund der Erfahrungen mit der vorläufigen Aufnahme absehbar ist, dass die meisten dieser Menschen langfristig in der Schweiz bleiben, da die Zustände im Heimat- oder Herkunftsland schlicht keine RĂĽckkehr zulassen. Mit anderen Worten: SchutzbedĂĽrftige wĂĽrden so ganz bewusst ĂĽber Jahre in einem Schwebezustand gehalten, einem Zwischenstatus ohne Perspektive, der zu grosser psychischer Belastung fĂĽhrt, die Integration behindert und dadurch massive Folgekosten generiert. Das widerspricht diametral allem, worauf Bund, Kantone, Städte, Gemeinden und Zivilgesellschaft in den letzten Jahren hingearbeitet haben und das insbesondere zur gemeinsam beschlossenen Integrationsagenda fĂĽhrte.  

Neustart fĂĽr positiven Schutzstatus

Es ist nun am Nationalrat, seinen Entscheid in der nächsten FrĂĽhjahrssession zu bestätigen und den leidigen Gesetzesentwurf zum S-Status endgĂĽltig zu versenken. GenĂĽgen wird das allerdings nicht, zumal schon einiger Schaden angerichtet ist: Gemeint ist die vor rund drei Jahren durch den Bundesrat in die Wege geleitete und vom Nationalrat unterstĂĽtzte Reform, die den Ersatz der vorläufigen Aufnahme durch einen positiven Schutzstatus vorsah. Dadurch hätten sich die Arbeits- und Integrationsperspektiven der Betroffenen endlich nachhaltig verbessern und damit die Sozialhilfekosten senken lassen. Dies war nach jahrelangem ergebnislosem Ringen eine vielversprechende und erst noch mehrheitsfähige Lösung, die auch von den direkt betroffenen Kantonen und Gemeinden unterstĂĽtzt wurde. Doch ausgerechnet der Ständerat ignorierte deren Interessen und torpedierte die Vorlage – weil er stattdessen das Rad zurĂĽckdrehen und auf den S-Status setzen wollte. Dadurch ist unnötig viel Geld und Zeit verschwendet worden. Doch es ist nicht zu spät, einen neuen Anlauf zur Schaffung eines positiven Schutzstatus zu starten. Denn die Unzulänglichkeit der vorläufigen Aufnahme ist ĂĽberall unbestritten, der Handlungsbedarf unvermindert gross.  

Angesichts dessen sollte sich auch der Ständerat als chambre de réfléxion besinnen: Um ein allseits anerkanntes Problem zu lösen, genügt es nicht, am selben Strick zu ziehen – man sollte es auch in die gleiche Richtung tun wie alle andern.

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