Dublin-System
Das sogenannte Dublin-System regelt, welcher Mitgliedstaat für die Behandlung eines Asylgesuchs zuständig ist. Die Dublin-III-Verordnung führt zu einer äusserst ungleichen Aufteilung der Verantwortlichkeiten im Asylwesen unter den europäischen Ländern. So sind es die Länder an den Aussengrenzen der Europäischen Union, wie z.B. Italien oder Griechenland, denen die Bearbeitung der Mehrheit der Asylgesuche übertragen wird.
EU-Pakt zu Migration und Asyl
Im September 2020 präsentierte die Europäische Kommission den Entwurf eines neuen EU-Pakts zu Migration und Asyl, im Mai 2024 wurde der Pakt nach langen Verhandlungen von EU-Rat und EU-Parlament verabschiedet. Die neuen Regelungen, eine Weiterentwicklung des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems (GEAS), sollen ab Sommer 2026 angewendet werden und die europäische Asyl- und Migrationspolitik grundlegend reformieren.
Aus Sicht der Schweizerischen Flüchtlingshilfe (SFH) löst der Pakt die bestehenden Probleme in Europas Umgang mit Migration und Asyl nicht, führt jedoch auf Kosten des notwendigen Schutzes für Geflüchtete zu massiven Verschärfungen. Mehr Solidarität mit schutzsuchenden Menschen wird deshalb dringlicher denn je.
Grenzregime
Seit 2015 forciert die EU verstärkt eine rigorose Politik der Abschreckung und Abschottung, um ihre Aussengrenzen möglichst gegen irreguläre Migration abzuriegeln. Sie versperrt Schutzsuchenden sichere Fluchtwege, paktiert mit Despoten und Diktatoren und nimmt Menschenrechtsverletzungen billigend in Kauf. Es kommt zu Gewalt, Elend und Tod.
Das sind die zentralen Elemente des EU-Grenzregimes:
- Festung Europa: An Land wie auf See kommt es an den Aussengrenzen der EU regelmässig zu illegalen Push-Backs, bei denen Schutzsuchende brutal und völkerrechtswidrig zurückgewiesen werden und ihnen das Recht verwehrt wird, ein Asylgesuch zu stellen. Auf dem Festland investieren die Mitgliedstaaten immer weiter in Grenzzäune und andere Infrastruktur, um die EU systematisch vor Schutzsuchenden abzuriegeln. Erreichen Menschen dennoch das europäische Festland, müssen sie vielfach unter menschenunwürdigen Bedingungen in Transitzonen und Lagern an den Aussengrenzen ausharren.
- Frontex: Die EU-Agentur für die Grenz- und Küstenwache hat ihre Aktivitäten an den EU-Aussengrenzen in den letzten Jahren stetig ausgeweitet und ist zum zentralen Instrument der europäischen Abwehrpolitik ausgebaut worden. Frontex erhält dafür immer mehr Mittel, Personal, Kompetenzen und Autonomie. Frontex steht seit langem in der Kritik, die Augen vor Menschenrechtsverletzungen zu verschliessen; selbst das Europäische Amt für Betrugsbekämpfung dokumentierte in der Vergangenheit bereits schwerwiegendes Fehlverhalten. Die Schweiz ist als assoziiertes Schengen/Dublin-Mitglied ebenfalls an Frontex beteiligt und hat zwei Sitze im Frontex-Verwaltungsrat. Zur Situation an den EU-Aussengrenzen und der Notwendigkeit einer Reform von Frontex hat die Schweizerische Flüchtlingshilfe (SFH) im April 2022 ein Grundlagendokument mit verschiedenen Lösungsansätzen verfasst.
- Kooperation mit Drittstaaten: Um die Flucht über die zentrale Mittelmeerroute zu unterbinden, kooperiert die EU mit dem Bürgerkriegsland Libyen, obwohl dort kaum staatliche Strukturen existieren. Sie finanziert die sogenannte libysche Küstenwache, rüstet diese mit Schiffen, Waffen und allem nötigen Gerät aus und trainiert die Besatzung. Im Gegenzug fängt die sogenannte Küstenwache im Mittelmeer Fluchtboote ab und zwingt die Geflüchteten zurück in libysche Lager, wo ihnen Gewalt, Versklavung und Tod drohen. Die EU nimmt diesen eklatanten Verstoss gegen Menschenrechte und das völkerrechtliche Non-Refoulement-Gebot billigend in Kauf. Vereinbarungen wie jene mit Libyen, der Türkei oder neu mit Tunesien sind Teil der zentralen EU-Strategie, die Kontrolle ihrer Aussengrenzen sukzessive in Transit- und Herkunftsländer vorzuverlagern. Dazu paktiert die EU mit Despoten und Diktatoren und finanziert mittlerweile unzählige Programme, Projekte und Instrumente. Deren gemeinsames Ziel: die Flucht nach Europa zu stoppen und Rückschaffungen zu erleichtern. Als Lohn winken den Machthabern Milliardendeals, Wirtschaftshilfen, Visaerleichterungen und weitere Unterstützung aus Europa.
Seenotrettung
In den vergangenen Jahren wurde die Seenotrettung auf dem Mittelmeer von staatlicher Seite stark eingeschränkt. Die italienische Marinemission «Mare Nostrum», deren Einsatz 2014 endete, hatte noch die vorrangige Aufgabe, Menschen zu retten. Die von der EU getragenen Nachfolgeoperationen «Triton» und «Sophia» konzentrierten sich zunehmend auf die Bekämpfung von Schleppern und irregulärer Migration. Seit März 2019 hat die Operation «Sophia» keine Schiffe mehr zur Verfügung, sondern beschränkt sich auf die Luftaufklärung.
Private Rettungsorganisationen wie SOS Méditerranée, Ärzte ohne Grenzen, Mission Lifeline, Sea-Watch und andere versuchen diese Lücke zu füllen und haben zehntausende Leben gerettet.
Doch die zivilen Rettungsschiffe werden gezielt behindert, Europas Häfen bleiben für sie oft geschlossen und ihre Rettungsaktionen werden sabotiert. Die privaten Helferinnen und Helfer werden kriminalisiert, bestraft und inhaftiert. Die Folgen dieser EU-Politik sind für die Geflüchteten verheerend und oftmals tödlich.
DafĂĽr setzen wir uns ein
- Humane Anwendung der Dublin-III-Verordnung: Die geltende Dublin-III-Verordnung führt zu einer äusserst ungleichen Aufteilung der Verantwortlichkeiten unter den europäischen Ländern. Die SFH setzt sich dafür ein, dass die Schweiz die Verordnung human anwendet und den Ermessensspielraum nutzt, den ihr Art. 17 Abs. 1 der Dublin-III-Verordnung gewährt.
- Solidarische Schweiz: Die SFH setzt sich dafür ein, dass sich die Schweiz – wie schon bei früherer Gelegenheit – an einer europäischen Lösung zur Umsiedlung (engl. relocation) von Schutzsuchenden beteiligt.
- Sichere Zugangswege ausbauen: Weil Europas Aussengrenzen durch den EU-Pakt und mittels zweifelhafter Abkommen mit Drittstaaten immer unüberwindbarer werden, fehlt es zusehends an sicheren Fluchtwegen nach Europa. Die SFH setzt sich für mehr reguläre Zugangswege ein, über die schutzbedürftige Menschen sicher und unversehrt nach Europa und in die Schweiz einreisen können.
- Seenotrettung: Die europäischen Staaten dürfen die Verantwortung für Seenotrettung nicht länger auf private Organisationen abwälzen, sondern müssen sie wieder selbst übernehmen. Die SFH setzt sich dafür ein, dass sich die Schweiz für den Aufbau eines dauerhaften, europäisch organisierten Seenotrettungssystems engagiert und sich auch finanziell und operativ daran beteiligt.
- Langfristige Neuausrichtung: Die SFH setzt sich für eine langfristige Neuausrichtung der europäischen Flüchtlingspolitik ein, die sich primär am Schutzgedanken des Flüchtlingsrechts orientiert – weg von Abschreckung und Abschottung, hin zu Humanität und Solidarität.