FluchtgrĂĽnde
Seit August 2021 kontrollieren die Taliban das Land. Sie haben das Islamische Emirat Afghanistan ausgerufen, jegliche demokratische Strukturen abgeschafft und setzen die Scharia als Rechtsgrundlage ein. Ihre Regierung besteht hauptsächlich aus männlichen Paschtunen, allesamt Mitglieder der Taliban. Andere Minderheiten sind weitgehend ausgeschlossen und Frauen sind überhaupt nicht vertreten. Körperstrafen, die Verfolgung von Oppositionellen und die Verweigerung der Grundrechte von Frauen sind an der Tagesordnung. Die Taliban gehen unter anderem gegen Angehörige der ehemaligen Sicherheitskräfte, Medienschaffende und regierungskritische Personen vor.
Die unerwartet schnelle Machtübernahme durch die Taliban, die fehlenden Übergangsregelungen sowie der abrupte Wegfall der internationalen Hilfe haben Afghanistan in eine Krise von bisher unbekanntem Ausmass gestürzt. Heute leben 97 Prozent der Afghan*innen in Armut, 24 Millionen Menschen sind auf humanitäre Hilfe angewiesen und 20 Millionen Menschen leiden an akutem Hunger.
Mehr als drei Millionen Menschen gelten als binnenvertrieben und 1,6 Millionen Menschen haben das Land verlassen. Mehrere Millionen afghanische Schutzsuchende leben in Pakistan und im Iran, doch diese Länder schieben die Geflüchteten nun ab. Viele leben in Flüchtlingscamps und sind einer schweren humanitären Krise ausgesetzt. Angehörigen von vulnerablen und gefährdeten Gruppen – wie Frauen, Medienschaffende und Oppositionelle – droht bei ihrer Rückkehr Verfolgung durch das Taliban-Regime.
Asylgesuche in der Schweiz
Seit mehreren Jahren gehört Afghanistan zu den wichtigsten Herkunftsländern von Asylsuchenden in der Schweiz. 2024 wurden 8627 Gesuche von Afghan*innen gestellt. Davon entfielen 1943 auf Mehrfachgesuche sowie 349 auf Wiederaufnahmen von Asylgesuchen.
Praxis der Schweizer Behörden
Im August 2021 hat das Staatssekretariat für Migration (SEM) angesichts der sich dramatisch verschärfenden Situation bekanntgegeben, Wegweisungen nach Afghanistan vorläufig auszusetzen und auf Rückführungen zu verzichten. Im Juli 2023 hat das SEM seine Praxis zu weiblichen Asylsuchenden aus Afghanistan angepasst. Seither haben sie nach der Einzelfallprüfung ihres Gesuchs grundsätzlich Anspruch auf Asyl. Zuvor erhielten afghanische Frauen und Mädchen in der Regel einen negativen Asylentscheid verbunden mit einer vorläufigen Aufnahme, weil der Wegweisungsvollzug unzumutbar war. Im März 2025 hat das SEM eine Anpassung seiner Asylpraxis erarbeitet, die am 14. April 2025 in Kraft trat. Das SEM geht davon aus, dass für volljährige, nicht vulnerable Männer mit laufendem Asylverfahren in der Schweiz ausnahmsweise der Vollzug der Wegweisung angeordnet werden kann, wenn eine Prüfung der individuellen Situation ergeben hat, dass eine sozioökonomische Wiedereingliederung im Herkunftsland zumutbar und möglich ist. Für alle anderen Personen, mit Ausnahme von Personen, die schwere Straftaten begangen haben und/oder Personen, welche die öffentliche Sicherheit und Ordnung gefährden, ist der Vollzug der Wegweisung nach Afghanistan grundsätzlich unzumutbar.
Schutzquote
Im Jahr 2024 wurden laut Angaben des SEM insgesamt 11’476 Fälle von Afghaninnen und Afghanen entschieden. 5679 erhielten Asyl und 3625 wurden vorläufig aufgenommen.
Die Schutzquote (Anteil der Asylgewährungen plus vorläufige Aufnahmen zum Total aller Entscheide) betrug 83,4 Prozent. Die Asylgewährung liegt bei nur 50,9 Prozent. Die verbleibenden Asylgesuche wurden zumeist mit einem Dublin-Nichteintretensentscheid entschieden, das bedeutet, dass ein anderer Staat im Schengen-Dublin-Raum für das Gesuch zuständig ist.
DafĂĽr setzen wir uns ein
- Humanitäre Hilfe: Die humanitäre Lage in Afghanistan ist äusserst prekär. Die Schweiz muss humanitäre Hilfe leisten und namentlich die vor Ort tätigen internationalen Organisationen finanziell und mit Hilfsgütern unterstützen. Die Unterstützung der Nachbarländer Iran und Pakistan, die eine hohe Zahl an afghanischen Schutzsuchenden beherbergen, soll ausgebaut werden.
- Sichere Migrationsrouten: Mit der Erteilung von humanitären Visa und der Möglichkeit von Familienzusammenführungen bietet das Schweizer Asylrecht bereits konkrete Lösungen, um Schutzsuchenden einen sicheren Weg in die Schweiz zu ermöglichen. Die aktuelle Praxis ist allerdings äusserst restriktiv. Die Schweiz soll die Erteilung von humanitären Visa für sämtliche gefährdete Afghan*innen erleichtern und beschleunigen, insbesondere für Frauen und Mädchen. Aus Sicht der SFH soll zudem das 2023 sistierte Resettlement-Programm schnellstmöglich wieder aufgenommen werden.
- Schutz: Die SFH begrüsst, dass das SEM afghanischen Frauen und Mädchen grundsätzlich Asyl gewährt und sich damit anderen europäischen Ländern anschliesst. Diese Praxisänderung ist unbedingt aufrecht zu erhalten. Der erneuten Praxisänderung, die das SEM im März 2025 eingeführt hat, steht die SFH hingegen kritisch gegenüber. Angesichts einer fehlenden stabilen staatlichen Struktur und der Willkürherrschaft, die sich aus dem grossen Handlungsspielraum der verschiedenen Akteure des Taliban-Regimes im Land ergibt, ist die SFH der Ansicht, dass das Risiko von Misshandlungen oder anderen Menschenrechtsverletzungen im Falle einer Wegweisung nicht ausgeschlossen werden kann. Nach Ansicht der SFH sind Wegweisungen nach Afghanistan immer als grundsätzlich unzumutbar anzusehen. Das Bundesverwaltungsgericht (BVGer) hat das SEM unter anderem aufgefordert, die Aufnahmesituation von afghanischen Asylsuchenden im Iran und in Pakistan eingehender zu prüfen und dabei ein besonderes Augenmerk auf das Risiko einer Wegweisung nach Afghanistan zu legen.