Staatenlosigkeit

Staatenlos ist eine Person, die kein Staat aufgrund seiner Gesetze als seinen oder ihre Staatsangehörige*n anerkennt. Staatenlose haben demzufolge keine Staatsangehörigkeit und sind besonders schutzbedürftig. Wir setzen uns dafür ein, dass staatenlose Personen besser identifiziert und geschützt werden, dass ihre Verfahrensrechte gestärkt werden und dass das Personal des SEM besser geschult wird, um Staatenlose zu unterstützen.

Dem Hochkommissariat der Vereinten Nationen für Flüchtlinge (UNHCR) zufolge sind weltweit mindestens zehn Millionen Menschen staatenlos. Gemäss Daten des Staatssekretariats für Migration (SEM) lebten im Dezember 2023 1181 Staatenlose in der Schweiz. Weitere 1387 Personen waren von den Schweizer Behörden unter den Kategorien «ohne Nationalität» und «Staat unbekannt» registriert. Diese könnten ebenfalls staatenlos sein. 

Ursachen von Staatenlosigkeit

Es steht jedem Staat frei, wie er den Erwerb und Verlust der entsprechenden Staatsangehörigkeit regelt. Staatenlosigkeit kann unter anderem entstehen, wenn ein Staat ganz oder teilweise zerfällt. In diesem Fall kann nicht sichergestellt werden, dass alle betroffenen Personen eine neue Staatsangehörigkeit erwerben beziehungsweise ihre alte Staatsangehörigkeit behalten können. Es kann auch vorkommen, dass gewissen Bevölkerungsgruppen aufgrund ihrer Ethnie, Rasse oder Religionszugehörigkeit die Staatsangehörigkeit entzogen oder verwehrt wird. Die Gesetzgebung mancher Staaten erlaubt es Müttern nicht, ihre Staatsangehörigkeit auf ihre Kinder zu übertragen. Dies kann zu Lücken führen, aufgrund derer die Kinder als Staatenlose geboren werden. 

Staatenlose sind besonders schutzbedürftig, da sie unter dem Schutz keines Staats stehen. In der Praxis bedeutet dies, dass sie keine politischen Rechte haben und dass es für sie sehr schwierig sein kann, Zugang zu sozialen Rechten, zum Arbeitsmarkt und zu Bildung zu erhalten. Darüber hinaus haben Staatenlose in der Regel kein Identitätsdokument und können daher nicht frei reisen. Bei einer Verfolgung ist kein Staat verpflichtet, ihnen angemessenen Schutz zu gewähren. 

Staatenlose, «Sans-Papiers» und Flüchtlinge

Staatenlose sind nicht mit «Sans-Papiers» (Personen ohne legalen Aufenthaltsstatus) zu verwechseln. Letztere haben kein Aufenthaltsrecht in dem Land, in dem sie sich aufhalten, besitzen aber in der Regel eine eigene Staatsangehörigkeit und Identitätsdokumente. Staatenlose hingegen haben keinen Bezugsstaat, kein Land, das sie als ihre Heimat bezeichnen können. 

Nicht alle geflüchteten Personen sind staatenlos, im Gegenteil: Viele von ihnen fürchten die Verfolgung durch den Staat, dessen Staatsangehörigkeit sie besitzen. Ebenso sind nicht alle Staatenlosen Geflüchtete. Letztere können Asyl beantragen, wenn spezifische Verfolgungsgründe vorliegen, die in den Anwendungsbereich der Genfer Flüchtlingskonvention fallen. Aufgrund dieser Unterscheidung gilt die Genfer Flüchtlingskonvention, die den Status von Flüchtlingen betrifft, jedoch nicht für Staatenlose. Staatenlose sind stattdessen durch zwei andere Übereinkommen geschützt: das Übereinkommen von 1954 über die Rechtsstellung der Staatenlosen und das Übereinkommen von 1961 zur Verminderung der Staatenlosigkeit. 

Die Übereinkommen zur Staatenlosigkeit und die Schweiz

Die Schweiz hat das Übereinkommen von 1954 über die Rechtsstellung der Staatenlosen (Staatenlosenübereinkommen) 1972 ratifiziert. Das Übereinkommen von 1961 zur Verminderung der Staatenlosigkeit wurde von der Schweiz hingegen nicht ratifiziert. 

Die Praxis der Schweiz im Bereich Staatenlose bedarf in mehrfacher Hinsicht Verbesserungen. So schliesst die Schweiz beispielsweise Staatenlose, die freiwillig auf ihre Staatsangehörigkeit verzichtet haben und keine Möglichkeit haben, diese wiederzuerlangen, vom durch das Staatenlosenübereinkommen garantierten Schutz aus. Laut dem Staatenlosenübereinkommen ist jedoch das einzige entscheidende Kriterium für die Feststellung der Staatenlosigkeit, ob die Person von den betroffenen Ländern als ihr Staatsangehöriger betrachtet wird oder nicht. Die in der schweizerischen Praxis verwendete Definition des Begriffs «staatenlose Person» ist daher restriktiver als diejenige des Staatenlosenübereinkommens. Es gibt zwar ein Verwaltungsverfahren zur Feststellung der Staatenlosigkeit, dieses ist jedoch nicht gesetzlich festgelegt und entspricht nicht den bewährten Praktiken.  

Die Probleme in der Schweizer Praxis wurden in der 2018 veröffentlichten UNHCR-Studie zur Staatenlosigkeit in der Schweiz eingehend behandelt. Im Rahmen dieser Studie wurden auch Empfehlungen ausgearbeitet. Seither hat sich die Praxis nicht wesentlich geändert. 

Das European Network on Statelessness (ENS)

Die SFH gehört seit 2023 dem European Network on Statelessness (ENS) an. Dieses 2012 gegründete Netzwerk will das Bewusstsein für Staatenlosigkeit und das Recht auf eine Staatsangehörigkeit schärfen, die rechtliche und politische Entwicklung unterstützen sowie die Handlungsfähigkeit der Zivilgesellschaft stärken.  

Die Mitglieder des ENS aktualisieren jedes Jahr ihren länderspezifischen Index zur Staatenlosigkeit. Dieser Index erlaubt es Nutzer*innen, sich schnell einen Überblick über die Rechtslage in den teilnehmenden Staaten zu verschaffen und auf einen Blick zu sehen, in welchen Fragen Verbesserungsbedarf besteht und welche bewährten Praktiken bei der Bekämpfung der Staatenlosigkeit als Modell dienen können. Der Staatenlosigkeitsindex 2023 für die Schweiz ist hier zu finden. 

Dafür setzen wir uns ein

  • Bessere Identifizierung staatenloser Personen: In der Schweiz gibt es ein Verwaltungsverfahren zur Feststellung der Staatenlosigkeit, das jedoch nicht gesetzlich festgelegt ist und nicht den bewährten Praktiken entspricht. Es ist daher notwendig, Staatenlose besser zu identifizieren, insbesondere durch die Verwendung einheitlicher Kategorien in den Bevölkerungsstatistiken des Bundesamts für Statistik (BFS) und des SEM; auf diese Weise kann die tatsächliche Zahl der Personen ohne Staatsangehörigkeit in der Schweiz ermittelt werden.  
  • Besserer Schutz von Staatenlosen: Derzeit ist die in der Schweiz verwendete Definition von Staatenlosigkeit restriktiver als die des Staatenlosenübereinkommens. Der Begriff «staatenlose Person» sollte in Konformität mit dem Staatenlosenübereinkommen ausgelegt und angewandt werden. Dies bedeutet insbesondere, dass alle Personen, welche die Bedingungen von Artikel 1 Absatz 1 dieses Übereinkommens erfüllen, ausnahmslos als Staatenlose anerkannt werden.  
  • Stärkung der Verfahrensrechte von Staatenlosen: Das Staatenlosenanerkennungsverfahren sollte durch ein Gesetz geregelt werden, das der besonderen Situation von Staatenlosen Rechnung trägt.  
  • Bessere Schulung des SEM-Personals: Das Personal des SEM ist derzeit nicht ausreichend im Bereich Staatenlosigkeit geschult. SEM-Angestellte sollten systematisch geschult werden, um betroffene Personen bestmöglich unterstützen und beraten zu können. Asylsuchende wiederum sollten Zugang zu leicht verständlichen Informationen in verschiedenen Sprachen zum Thema Staatenlosigkeit erhalten. 

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