Sie heissen Tesfaldet, Fouad, Samuel oder Tesfon. Sie sind jung, motiviert, sich zu integrieren, leben seit Jahren in der Schweiz und haben eine Lehrstelle bekommen. Doch dann erhalten sie eine Wegweisungsverfügung und verlieren damit von einem Tag auf den andern ihr Recht auf Ausbildung und Arbeit. Nach Schätzungen der Berufsschulen kommt es in der Schweiz jedes Jahr zu 300 bis 400 solchen Lehrabbrüchen. Oft handelt es sich um junge Asylsuchende, deren Asyldossier jahrelang nicht bearbeitet wurde und nach altrechtlichem Verfahren viel Zeit beanspruchte, und / oder wo eine Rückübernahme ins Herkunftsand aus verschiedenen Gründen in absehbarer Zeit nicht möglich ist. In der Folge bleiben sie also dauerhaft in der Schweiz.
Angesichts dieser Situation reichten verschiedene Persönlichkeiten und Organisationen aus der Zivilgesellschaft am 26. November 2019 die Petition «Eine Lehre – Eine Zukunft» ein, welche die Schweizerische Flüchtlingshilfe (SFH) mitunterstützt hat. Die Staatspolitische Kommission des Nationalrats (SPK-NR) überwies am 13. August 2020 eine Motion an den Nationalrat: . Diese fordert den Bundesrat auf, die geltenden Rechtsgrundlagen und die aktuelle Praxis dahingehend anzupassen, dass abgewiesenen Asylsuchenden in Ausbildung die Ausreisefrist verlängert werden kann, damit sie ihre Ausbildung vor der Rückkehr ins Herkunftsland fortsetzen und abschliessen können.
Der Bundesrat sagt Nein
Der Bundesrat, der die Motion am 28. Oktober 2020 abgelehnt hat, sieht keinen Handlungsbedarf, da aufgrund des beschleunigten Asylverfahrens seit 1. März 2019 in Zukunft weniger jugendliche Asylsuchende eine Lehre anfangen würden. Auch könnten die Ausreisefristen bis maximal sechs Monate verlängert werden, um die Lehren abzuschliessen.
Die SFH empfiehlt die Motion zur Annahme. Eine generelle Verlängerung der Ausreisefrist zur Beendigung von beruflichen Grundbildungen ist angebracht; nicht zuletzt haben die verantwortlichen Behörden wegen der alten, zeitintensiven Verfahren diese Situationen herbeigeführt.
Die SFH erinnert an die Uno-Kinderrechtskonvention (KRK, Art. 28), 1997 von der Schweiz ratifiziert, wonach die Staaten Kindern und Jugendlichen unabhängig von deren Aufenthaltsstatus Zugang zu Grund- und weiterführenden Schulen gewähren müssen. Weiter weist die SFH auf eine Ungleichbehandlung hin: Kinder von Familien, die gezwungen sind, das Land zu verlassen, haben gemäss KRK und Art. 19 der Verfassung das Recht, die obligatorische Schule zu besuchen, während junge Erwachsene in der Berufsbildung gezwungen sind, bei einem negativen Asylentscheid ihre Lehre abzubrechen. Daher unterstützt die SFH die neuste Empfehlung der eidgenössischen Migrationskommission (EKM), wonach Personen mit negativem Asylentscheid die Ausbildung oder Lehre, die sie zum Zeitpunkt des Negativentscheids absolvieren, abschliessen können sollten.
Verluste für die KMU und Kosten für die Kantone
Diese Situation ist auch eine Belastung für die KMU und die Arbeitgebenden, die in junge Asylsuchende investiert haben. Sie müssen plötzlich auf eine qualifizierte und motivierte Arbeitskraft verzichten und den finanziellen Verlust selbst tragen. Überdies können in der Realität die meisten betroffenen Jugendlichen nicht in ihr Herkunftsland rückgeführt werden, sodass sie auf Dauer auf Nothilfe angewiesen sind, ohne jegliche Zukunftsperspektive. Die Kantone müssen langfristig die zusätzlichen Kosten für die Nothilfe übernehmen. In Anbetracht dessen ist es für die SFH unverständlich, dass bereits angefangene Lehren vor dem Wegweisungsvollzug nicht abgeschlossen werden können.
Eine Investition in die Zukunft
Eine Ausbildung oder Lehre ist in jedem Fall eine Investition in die Zukunft der betroffenen Person. Die erworbenen Kenntnisse und Kompetenzen können nach der Rückkehr ins Herkunftsland oder einer Weiterreise in ein Drittland sehr hilfreich sein. Ausbildungen und Lehren können somit auf jeden Fall als eine Form der Rückkehrhilfe betrachtet werden.
Die meisten jungen Asylsuchenden kommen aus Herkunftsländern, deren Lage zu gefährlich und zu unsicher für eine Rückführung sind. Es wird auch für die Schweiz langfristig ein Gewinn sein, wenn die Jugendlichen mit Lehrabschluss aus der Nothilfe herauskommen und ihre Aufenthaltssituation bereinigt wird. Wichtig ist der SFH, dass die kantonalen Nothilferegime menschenwürdig ausgestaltet werden.