Keine aktive Rolle der Schweiz gegen das Sterben auf dem Mittelmeer

18. Dezember 2020

Der Nationalrat hat die Petition «Das Sterben auf dem Mittelmeer stoppen!» in der heutigen Session sehr knapp abgelehnt. Damit entzieht sich die Schweiz ihrer Verantwortung gegenüber Schutzsuchenden in Seenot und der Möglichkeit, in der europäischen Migrationspolitik eine aktive Rolle wahrzunehmen.

Knapp 16'400 Unterzeichnende, darunter auch die Schweizerische Flüchtlingshilfe (SFH), haben im Januar 2020 den Bundesrat und das Parlament mit der Petition «Das Sterben auf dem Mittelmeer stoppen!» aufgefordert, sofort zu handeln: Die Schweiz solle sich am Aufbau eines europäisch organisierten und finanzierten zivilen Seenotrettungssystems beteiligen und sich für eine Verteilung von Menschen, die aus Seenot gerettet werden, nach humanitären und rechtsstaatlichen Grundsätzen einsetzen. Zudem sollen der Bundesrat und das Parlament die rechtlichen Grundlagen schaffen, die eine rasche und dezentrale Aufnahme von Bootsflüchtlingen in der Schweiz ermöglichen.

Das Anliegen ist breit abgestützt: grosse Teile der Bevölkerung, kirchliche Kreise und zivilgesellschaftliche Organisationen, aber auch viele Schweizer Städte und Gemeinden sind mittlerweile bereit, Geflüchtete aufzunehmen und sehen hier einen grossen Handlungsbedarf. Eine Annahme der Petition durch das Parlament hätte diese bereitabgestützte Allianz in ihrer Haltung bestätigt und ein deutliches Zeichen gesetzt, dass die Schweiz innerhalb der europäischen Migrations- und Asylpolitik eine aktive Rolle einnehmen soll.

Die Petition wurde im August 2020 von der Staatspolitischen Kommission (SPK) des Nationalrats vorberaten. Die Mehrheit beantragte deren Ablehnung; eine Minderheit schlug die Rückweisung an die Kommission vor mit dem Auftrag, eine Motion auszuformulieren. Noch 2019 hatten sich Mitglieder aus fast allen politischen Lagern für griffigere Massnahmen gegen das Drama auf dem Mittelmehr eingesetzt. Nun ist das Anliegen zwar vom Tisch, aber die Tatsache, dass der Petition heute 90 Nationalrätinnen und -räte zugestimmt haben (gegenüber 100 Neinstimmen und bei 4 Enthaltungen), lässt Hoffnung aufkommen für künftige Abstimmungen.

Völkerrechtliche Verpflichtung

Die SFH hat bereits am 29. August 2019 zusammen mit den Mitgliedsorganisationen und dem Schweizerischen Roten Kreuz (SRK) in einem offenen Brief an Bundesrätin Karin Keller-Sutter appelliert, «…sich dafür einzusetzen, dass die Schweiz eine Vorreiterrolle einnimmt und Verantwortung für den Flüchtlingsschutz und die Wahrung der Menschenrechte übernimmt, wie es den Zielen der Schweizer Migrationsaussenpolitik entspricht.» Für die Schweizer Beteiligung an der Seenotrettung im Mittelmeer hat die SFH darin vier Massnahmen vorgeschlagen. Sie hat zudem klar Stellung bezogen gegen die zunehmende EU-Abschottungspolitik und deren menschenverachtenden Auswirkungen auf schutzsuchende Menschen: «Die Pflicht zur Seenotrettung ist geltendes Völkerrecht, das Recht auf Leben und der Schutz vor unmenschlicher Behandlung sind nicht verhandelbar. Die EU und die Schweiz können sich dieser Verantwortung nicht entziehen.» Die SFH hält daran fest und bedauert die Ablehnung dieser breit abgestützten Petition, welche allerdings mit nur 10 Stimmen Unterschied beachtlich knapp ausgefallen ist.

Aktuell sind kaum mehr private Rettungsschiffe im Einsatz, was staatliche Interventionen umso notwendiger macht. Die Statistik weist für 2020 weniger Ertrunkene im Mittelmeer aus, wegen der fehlenden Seenotrettungsschiffe ist allerdings zu befürchten, dass die Dunkelziffer hoch ist.

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