Gerichtsentscheid in Deutschland: Keine Abschiebungen nach Italien

30. Juli 2021

Das Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen hat die Klagen eines in Italien anerkannten Flüchtlings und eines Asylsuchenden gutgeheissen, die nach Deutschland weitergereist sind und dort ein erneutes Asylgesuch gestellt haben. Aufgrund der Mängel im italienischen Unterbringungssystem dürfen sie nicht zurückgeschickt werden. Das Gericht stützt seine Urteile unter anderem auf den Italienbericht der Schweizerischen Flüchtlingshilfe (SFH) und eine eigens angeforderte Auskunft ab.

Weil Asylsuchenden wie auch anerkannten Flüchtlingen in Italien «die ernsthafte Gefahr unmenschlicher und erniedrigender Behandlung droht», dürfen sie trotz Dublin-III-Verordnung oder in Anwendung eines Rückübernahmeabkommens nicht nach Italien zurückgeschickt werden. Das Oberverwaltungsgericht für das Bundesland Nordrhein-Westfalen hat mit zwei Urteilen vom 20. Juli 2021 die Asylanträge eines Somaliers und eines Maliers in Deutschland für zulässig erklärt.

In beiden Fällen begründet das Gericht die Entscheide mit der «extremen materiellen Not», welche die Betroffenen bei einer Rücküberstellung nach Italien «unabhängig von ihrem Willen und ihren persönlichen Entscheidungen» zu erwarten hätten. Die beiden Kläger würden in Italien weder Unterkunft noch Arbeit finden und verfügten dort auch nicht über ein soziales Netz. Trotz Änderung des Salvini-Dekrets von 2018 stehe ihnen kein Recht mehr auf Unterbringung zu, so das Gericht. Denn die Vorschriften, die den Verlust des Rechts auf Unterbringung in einer Aufnahmeeinrichtung regeln und die von den italienischen Behörden innerhalb von vier Jahren in mindestens 100.000 Fällen von Asylsuchenden und Schutzberechtigten angewendet worden seien, würden trotz der Reform vom Dezember 2020 weiterbestehen.

Das Gericht belegt seine Begründungen in grossen Teilen mit dem Bericht der SFH zur Aufnahmesituation in Italien vom Januar 2020 sowie einer eigens für die Fälle angeforderten Auskunft vom Mai 2021. Im Juni 2021 hat die SFH zudem ein Update des Italienberichtes veröffentlicht, welches sich mit den Gesetzesänderungen unter der neuen italienischen Innenministerin Luciana Lamorgese sowie mit den Auswirkungen der Covid-19-Pandemie beschäftigt.

Die SFH begrüsst die Urteile; sie bestätigen die Recherchen der langjährigen SFH-Expertise zu Italien und schützen Asylsuchende wie auch anerkannte Flüchtlinge aus Italien vor grosser Not und Perspektivenlosigkeit. Es ist aus Sicht der SFH notwendig, dass auch die Schweizer Behörden von Überstellungen nach Italien absehen. Die SFH rät von Überstellungen nach Italien ab und fordert die Behörden auf, auf Asylgesuche von Personen, die bei einer Rücküberstellung nach Italien einer Situation extremer materieller Not ausgesetzt wären, einzutreten.

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