Die Stimme der Geflüchteten an internationaler Resettlement-Konferenz

15. Juni 2021

Die weltgrösste Konferenz zu Resettlement mit Co-Vorsitz der Schweizerischen Flüchtlingshilfe (SFH) wird Ende Juni 2021 aufgrund der Covid-19-Pandemie virtuell tagen. Dabei bringen auch Resettlement-Flüchtlinge ihre Erfahrungen und Ideen ein. Die kurdische Rechtsanwältin Rez Gardi koordiniert ihre Stimmen und hat dem Fluchtpunkt ein Interview gewährt.

Rez Gardi, was bedeutet die Teilnahme der Flüchtlings-Lenkungsgruppe RSG an der Vorbereitung und Durchführung der ATCR-Konferenz?

Die ATCR haben den Wert der Flüchtlingsbeteiligung bereits früher erkannt. Die Beteiligung von Geflüchteten ist nicht nur ein «ethischer Imperativ», sie kann auch zu Veränderungen in der Politik und zur Entwicklung von Gesetzen beitragen. Flüchtlingsbeteiligung trägt zu Lösungen bei, die nachhaltig und wirkungsvoller sind, zu innovativen Formen der Interessenvertretung und zur Entwicklung einer Politik, die näher an der Realität vor Ort ist. Die partnerschaftliche Zusammenarbeit mit Führungspersönlichkeiten mit Fluchthintergrund, die über eigene Erfahrungen verfügen, birgt ein enormes Potenzial.

Glauben Sie, dass sich die Ergebnisse und die Prioritäten der ATCR ändern, jetzt, wo umgesiedelte Flüchtlinge das Programm aktiv mitgestalten?

Es ist nicht notwendig, dass sich die Prioritäten ändern – die ATCR leisten in der Regel gute Arbeit bei der Identifizierung von Themen im Rahmen der Neuansiedlung. Aber die Diskussionen werden bereichert, wenn es Erfahrungen aus erster Hand darüber gibt, was bei Neu- oder Wiederansiedlungen funktioniert hat und was nicht. Perspektiven, die vielleicht übersehen werden, können angesprochen werden und Ideen, was verbessert werden könnte, kommen direkt von den Betroffenen. Um die besten Antworten und Lösungen für die komplexen Probleme zu finden, mit denen Millionen Vertriebene auf der ganzen Welt konfrontiert sind, braucht es Beiträge von Menschen, die selbst Erfahrungen mit Vertreibung gemacht haben. Partizipation führt zu politischen Lösungen, die näher an der Realität von Resettlement-Flüchtlingen sind.

Was ist für Sie persönlich für die ATCR-Konferenz wichtig?

Der wichtigste Aspekt für mich ist es, Geflüchteten eine Plattform zu bieten, wo sie sich zusammen mit anderen Stakeholdern in fruchtbaren Diskussionen engagieren können. Es geht darum, die Praktiken zu identifizieren, die in den verschiedenen Resettlement-Kontexten am besten funktionieren, und um gemeinsam innovative Lösungen für die bestehenden Herausforderungen zu entwickeln. Es ist ein Aufruf, Raum für uns Geflüchtete zu schaffen, um unsere Fähigkeiten, Perspektiven und Erfahrungen zu nutzen, um direkt zu Entscheidungen beizutragen. Schliesslich sind wir die Expertinnen und Experten für unser Leben und die Probleme, die uns betreffen. Wir sollten auch als solche behandelt werden. Die Einrichtung der RSG ist ein wichtiger Schritt, dies anzuerkennen.

Haben Sie Ideen, wie man Staaten dazu motivieren kann, bei der Aufnahme von Flüchtlingen grosszügiger zu sein?

Theoretisch ist das Recht, Asyl zu beantragen, international anerkannt; in der Praxis werden jedoch viele Asylsuchende wie Kriminelle behandelt. Der politische Diskurs über Geflüchtete hat sich von der Sichtweise, dass wir «gefährdet» sind, zur Sichtweise, dass wir «ein Risiko» darstellen, verschoben. Paradoxerweise kann ein System, das einige der verletzlichsten Menschen der Welt schützen soll, dazu führen, dass wir uns noch verletzlicher und hilfloser fühlen, was den Schmerz der Flucht aus unserer Heimat noch verschlimmert. Es ist wichtig, das Narrativ zu ändern, was es bedeutet, ein Flüchtling zu sein; den Begriff neu zu definieren als einen, der Widerstandsfähigkeit und Mut umfasst. Und unsere menschliche Seite zu betonen und das, was uns verbindet, statt das, was uns unterscheidet. Die Menschen müssten sich einen Moment Zeit nehmen, in unsere Schuhe steigen und sich fragen: Wie möchte ich behandelt werden?

Sie haben im Kindesalter selbst einen Resettlement-Prozess erlebt: Ihre kurdische Familie musste 1989 aus dem Iran nach Pakistan flüchten und wurde dann in Neuseeland dauerhaft aufgenommen. Wie haben Sie das erlebt?

Ich habe es mir nicht ausgesucht, Flüchtling zu sein; ich wurde als Flüchtling geboren, in einem Lager in Pakistan. Ich habe aus erster Hand die unvorhersehbarkeit des Lebens und die ständige Bedrohung erfahren, nicht zu wissen, wann oder wohin man als Nächstes geht oder ob man in der Lage sein wird, grundlegende Rechte wie Nahrung, Unterkunft und Wasser zu bekommen, geschweige denn Bildung. Meine Eltern lernten sich in den 80er-Jahren im Iran kennen. Sie wurden als politische Aktivisten bezeichnet, weil sie gegen die Verfolgung von Kurdinnen und Kurden und für kurdische Rechte kämpften. 1989 waren meine Eltern gezwungen, aus dem Iran zu fliehen, um dem Tod zu entgehen. Sie überquerten auf dem Rücksitz eines Lastwagens illegal die Grenze vom Iran nach Pakistan, wo die Anwesenheit der Vereinten Nationen ein Leuchtfeuer der Hoffnung war. Als sie in Quetta, Pakistan, ankamen, wurden sie wegen ihrer Gefährdung als Flüchtlinge anerkannt. Es wurde ihnen versprochen, dass es sechs Monate dauern würde, bis sie an einen sicheren Ort umgesiedelt würden. Am Ende waren es neun Jahre.

Inwiefern haben diese Erfahrungen Ihren beruflichen Werdegang mitgeprägt?

Als Tochter kurdischer Menschenrechtsaktivisten brachte mich eine tief verwurzelte Leidenschaft für Gerechtigkeit dazu, eine Karriere in der Rechtswissenschaft zu verfolgen. Ich wollte die Macht des Rechts verstehen, um positive Veränderungen zu schaffen. Ich möchte helfen, eine Gesellschaft aufzubauen, die fair und gerecht ist, und den Menschen den Zugang zur Justiz ermöglichen. In Pakistan wurde mir aufgrund meines Flüchtlingsstatus eine Ausbildung verwehrt. Und in Neuseeland, als ich in der Highschool war, sagte mir ein Berufsberater, ich solle «andere Optionen in Betracht ziehen», weil ein Jurastudium für jemanden wie mich – einen Flüchtling ohne Bildungsgeschichte in der Familie – zu schwierig wäre. Anstatt aufzugeben, beschloss ich, das Beste anzustreben. Ich wurde die erste kurdische Person in der Geschichte, die ihren Abschluss an der Harvard Law School machte. Das war eine bedeutende Leistung für mich, denn es ging nicht nur darum, an dieser Elite- Institution zu studieren, sondern auch um all die Barrieren, Stereotypen und Vorurteile, die ich niederreissen wollte. Ich wollte beweisen, dass wir Geflüchteten grössere Träume haben können, als die Einschränkungen, die unsere Erfahrungen und Identitäten zulassen. Es ging darum, die Kontrolle über das eigene Leben zurückzuerlangen und eines Tages hoffentlich in der Lage zu sein, die Gesetze zu beeinflussen, die für Menschen gelten, die vertrieben wurden, wie ich es einst war.

Seit1995 treffen sich im Rahmen der Annual Tripartite Consultations on Resettlement (ATCR) jedes Jahr das Flüchtlingshilfswerk der Vereinten Nationen (UNHCR) sowie Regierungen und Nichtregierungsorganisationen (NGO) von Resettlement-Ländern. Sie diskutieren vielerlei Aspekte der dauerhaften Neuansiedlung von anerkannten Flüchtlingen, erarbeiten gemeinsame Ansätze zum globalen Resettlement und behandeln vielfältige Strategie- und Verfahrensfragen. Die Konferenzteilnehmenden entwickeln und fördern neue und innovative Ansätze mit dem Ziel, Resettlement und weitere humanitäre Aufnahmewege für Schutzbedürftige zu verbessern. Für die diesjährige ATCR-Konferenz haben das Staatssekretariat für Migration (SEM) und die Schweizerische
Flüchtlingshilfe (SFH) gemeinsam den Vorsitz inne. Die Veranstaltung steht wie immer unter der Schirmherrschaft der Vereinten Nationen. In der ATCR-Gemeinschaft hat sich im letzten Jahr eine Flüchtlings-Lenkungsgruppe, die «Refugee Steering Group» (RSG), gebildet. Die RSG wurde für diese Konferenz erstmals in die Programmentwicklung einbezogen, ausserdem wird sie eine aktive Rolle in der Durchführung der Konferenzinhalte spielen. Die RSG setzt sich aus anerkannten Resettlement-Flüchtlingen zusammen.

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