Klare Kriterien für die Zuteilung ins erweiterte Asylverfahren

18. November 2020

Komplexe Asylgesuche gehören gemäss Asylgesetzgebung ins erweiterte Verfahren. Denn dort besteht mehr Zeit für deren eingehende Prüfung. In der Praxis werden komplexe Asylgesuche zu oft im beschleunigten Verfahren abgewickelt. Das birgt die Gefahr falscher Asylentscheide und Grundrechtsverletzungen. Die Schweizerische Flüchtlingshilfe (SFH) hat Kriterien erarbeitet, die aus ihrer Sicht für die Zuteilung ins erweiterte Verfahren sprechen.

Seit März 2019 werden in den Bundesasylzentren beschleunigte Asylverfahren durchgeführt. Diese sollen innert maximal 140 Tagen zu einem rechtskräftigen Asylentscheid führen. Komplexe Fälle, die vertiefte Abklärungen erfordern, müssen gemäss Asylgesetzgebung aber dem sogenannten erweiterten Verfahren zugeteilt werden, das maximal ein Jahr dauert. In der Praxis werden solche komplexen Asylgesuche bislang jedoch zu oft im beschleunigten Asylverfahren geprüft. Das zeigt nicht nur eine erste Bilanz der SFH zum neuen Asylverfahren, sondern auch die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichtes (BVGer). In einem Grundsatzurteil vom 9. Juni 2020 hält das Gericht fest, dass das Staatssekretariat für Migration (SEM) unter gewissen Bedingungen verpflichtet ist, sich mehr Zeit für die Prüfung der Asylgründe zu nehmen. Denn wird ein komplexes Asylgesuch fälschlicherweise im beschleunigten Verfahren entschieden, so verletzt dies gemäss BVGer das verfassungsmässige Recht schutzsuchender Menschen auf eine wirksame Beschwerde. Zudem birgt es das Risiko eines falschen Asylentscheids.

Angesichts der grossen Bedeutung der Zuteilung zur einen oder anderen Verfahrensart hat die SFH Triage-Kriterien erarbeitet. Sie stützt sich dabei auch auf die Rechtsprechung des BVGer.

So gehören beispielsweise Asylgesuche, die medizinische Abklärungen benötigen, ins erweiterte Verfahren, wenn die Abklärungen innerhalb der kurzen Verfahrensfristen nicht umfassend vorgenommen werden können. In zahlreichen BVGer-Urteilen waren unzureichende medizinische Abklärungen ausschlaggebend für eine Rückweisung ans SEM.

In gewissen Fällen braucht es Abklärungen im Herkunftsland der asylsuchenden Person. So muss beispielsweise die persönliche Situation von unbegleiteten Minderjährigen im Falle einer Wegweisung untersucht werden. Sind diese Abklärungen innert der kurzen Zeit eines beschleunigten Verfahrens nicht möglich, ist eine Zuteilung ins erweiterte Verfahren angezeigt. Zudem kann die Beschaffung von Beweismitteln einen Grund für eine Zuteilung ins erweiterte Verfahren darstellen. Für Asylsuchende ist es oft sehr schwierig, diese Dokumente zu organisieren. Werden Beweismittel glaubhaft in Aussicht gestellt, so müssen diese abgewartet werden, um den Sachverhalt vollständig abzuklären.  

Kommt das SEM zum Schluss, dass eine einzige Anhörung zu den Asylgründen nicht genügt und eine ergänzende Anhörung angebracht ist, so muss es die Zuteilung ins erweiterte Verfahren verfügen. Zudem gehören Asylgesuche bei deutlicher Überschreitung der Ordnungsfristen ins erweiterte Verfahren. Die Asylgesetzgebung sieht zwar einen ‘Spielraum’ der Fristüberschreitung um einige Tage vor. Das SEM überschreitet die Ordnungsfristen des beschleunigten Verfahrens jedoch oft massiv. Das BVGer stellte wiederholt fest, dass die Behandlung von Asylgesuchen im beschleunigten Verfahren retrospektiv betrachtet nicht angezeigt war.

Die vollständigen Kriterien finden Sie im SFH-Positionspapier. 

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