Integration heisst auch, getrennte Familien wieder zusammenzubringen

08. April 2021

Abdol und Sediqa Sharifi kommen aus Afghanistan. Er war Mathematiklehrer in Kabul, sie arbeitete im Gesundheitswesen. Als das fortschrittliche Paar in den Fokus von Fundamentalisten gerät, muss Sediqa untertauchen und Abdol fliehen. Jahrelang bleiben die beiden getrennt und in Sorge umeinander.

Heute dürfen wir Familie Sharifi in ihrem neuen Zuhause in La Tour-de-Peilz im Kanton Waadt besuchen. Ein Gespräch mit zwei Menschen, die angekommen sind.

«Hier ist vieles anders. Hier haben wir Freiheit und Sicherheit.»

Sediqa Sharifi

Karin von der Schweizerischen FlĂĽchtlingshilfe: Liebe Sediqa, lieber Abdol, herzlichen GlĂĽckwunsch zum kleinen Nima. 

Abdol: Vielen Dank. Nima kam am 4. Juli 2019 in Vevey auf die Welt.

Sediqa: In Afghanistan haben Geburtstage keine Bedeutung. In der Schweiz sind sie aber wichtig. Ein sehr schöner Brauch, wir haben Nimas ersten Geburtstag gross gefeiert.

Wie habt ihr euch kennengelernt?

Abdol: Wir kennen uns, seit wir Kinder waren, sind im gleichen Dorf aufgewachsen. Ich war in Sediqa verliebt, seit ich denken kann.

Sediqa: (Lacht) Und unsere Familien mochten sich auch. Das hat geholfen.

Wie war es, so lange getrennt zu sein?

Sediqa: Die Zeit der Flucht war schrecklich. Immer, wenn Abdol in ein neues Land kam, versuchte er ein Netzwerk zu finden, damit er mich anrufen konnte. Ich lebte oft in Unklarheit, ob es ihm gut geht. Erst als er in der Schweiz war, konnten wir jeden Tag telefonieren.

Abdol: Von hier schickte ich Sediqa regelmässig Bilder: Von der Genferseeregion, von den Bergen und den friedlichen StraĂźen.

Wann und wie hast du erfahren, dass du und Abdol wieder zusammen sein werdet?

Sediqa: Wir hatten solche Sehnsucht, dass wir planten, uns im Iran zu treffen. Aber das ist sehr gefährlich und meine Familie hat es mir nicht erlaubt.  

Abdol: Zum GlĂĽck (lacht). Drei Wochen später bekam ich den Bescheid, dass die Schweizer Behörden meinen Antrag auf FamilienzusammenfĂĽhrung angenommen hatten.

Sediqa, du lebst seit Januar 2018 in der Schweiz. Wie gefällt es dir hier?

Sediqa: Hier ist vieles anders. Der Lebensstandard, die Ruhe, der Respekt vor den Menschen. Hier haben wir Freiheit und Sicherheit. Und die Leute sind nett, das gefällt mir. Es ist auch erstaunlich, wie viele Frauen hier eine Arbeit haben.

Aber du hast in Afghanistan auch gearbeitet.

Sediqa: Ja, dank meinen Eltern. Sie ermöglichten mir, zu studieren und danach zu arbeiten. Meine Mutter konnte nicht lesen und schreiben und war ihr Leben lang Hausfrau. Sie sagte immer, sie wolle nicht, dass ich so ein Leben fĂĽhre wie sie.

Abdol: Bei mir war es der ältere Bruder, der gearbeitet hat. Nach dem Tod meines Vaters arbeitete er, damit ich und mein jĂĽngerer Bruder studieren konnten.

Abdol, ist es nicht schwer fĂĽr dich, nach dem Studium und den damit verbundenen Entbehrungen in der Schweiz nicht mehr als Mathematiker zu arbeiten?

Abdol: Um als Mathematiklehrer arbeiten zu können, muss ich Französisch auf C2-Niveau und Deutsch auf B1-Niveau beherrschen. Französisch spreche ich gut, Deutsch hätte ich erst von Grund auf lernen müssen. Ich wollte wegen Sediqa jedoch rasch Arbeit finden.

Sediqa: Und dir gefällt die neue Arbeit ja auch.

Abdol: Das stimmt. Ich arbeite als Elektriker in Ausbildung. Ich verstehe mich sehr gut mit meinen Kollegen. Und kann die Lehre schon in zwei Jahren abschliessen.

Thema Zukunft. Wie sehen eure Pläne aus?

Abdol: Als erstes will ich meine Ausbildung beenden.

Sediqa: Ich bin sicher, dass ich eine Stelle im öffentlichen Gesundheitswesen finde, sobald Nima gross genug fĂĽr die Kita ist.

Und der kleine Nima? Was sind seine Zukunftspläne?

Sediqa: Im Moment plant er, alle Blätter von unseren Pflanzen abzureissen (beide lachen). Im Ernst, ich möchte, dass er sein Leben frei bestimmen kann.

Abdol: Er wird hoffentlich ein friedliches Afghanistan erleben. Vielleicht kann er, mit dem was er in der Schweiz ĂĽber Recht und Demokratie lernt, zu dieser Zukunft beitragen.

Herzlichen Dank fĂĽr eure aufrichtigen Antworten und alles Gute fĂĽr die Zukunft.

So bringen wir gemeinsam Familien zusammen.

Sorgen Sie mit uns dafĂĽr, dass der Familiennachzug fĂĽr Menschen wie Abdol erleichtert wird. 

Es ist ein fundamentales Menschenrecht, dass Familien zusammenleben dürfen. Die aktuelle Gesetzeslage in der Schweiz erschwert dieses Recht für viele Menschen unnötig.

  • Die FamilienzusammenfĂĽhrung erleichtern. Damit vorläufig aufgenommene FlĂĽchtlinge ihre Familie in die Schweiz holen können.
  • Den Familienbegriff erweitern. Damit auch enge Familienmitglieder wie Geschwister, Eltern oder Grosseltern in der Schweiz leben dĂĽrfen.
  • Das Kindesinteresse zentral gewichten. Damit Eltern von unbegleiteten Kindern die Einreise in die Schweiz ermöglicht wird, wenn dies dem Anliegen des Kindes entspricht.

Wir setzen uns fĂĽr Familien ein, die durch Flucht voneinander getrennt wurden. Danke fĂĽr Ihre UnterstĂĽtzung.

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