Interview: Annelies Müller, Redaktorin SFH
Sie haben die Bevölkerung erfolgreich motiviert, sich für die Asylsuchenden zu engagieren. Wie schaffen Sie es, die Motivation aufrechtzuerhalten?
Willy Pasche: Das ist sehr herausfordernd. Innerhalb der restriktiven gesetzlichen Vorgaben müssen wir kreativ nach Beschäftigungsmöglichkeiten suchen. Die isolierte Lage der Gemeinde stellt uns vor zusätzliche Hürden, insbesondere, was Transport und Vernetzung anbelangt. Öffentliche Verkehrsmittel sind teuer, die Mobilität ist massiv eingeschränkt. Wir arbeiten kontinuierlich dagegen an, dass die Entmutigung nicht überhandnimmt.
Welchen Spielraum haben Sie denn als Gemeindepräsident?
Willy Pasche: Der Spielraum ist tatsächlich sehr begrenzt. Wenn wir von der Gemeinde aus Aktivitäten organisieren wollen, etwa zur Instandhaltung von Wegen oder zum Aufstellen von Bänken, müssen wir dies über Programme der Asylsozialhilfeträger laufen lassen. Wir dürfen die Geflüchteten nicht direkt bezahlen. Das fühlt sich unangenehm an, denn wir wollen uns nicht an der Ausbeutung der Gesuchstellenden beteiligen. Deshalb suchen wir nach Alternativen wie Sachspenden. Viele Geflüchtete wären bereit, umsonst zu arbeiten, doch das lehne ich ab.
Welche Projekte konnten Sie im Dorf schon umsetzen?
Willy Pasche: Es gibt ein Projekt, auf das ich besonders stolz bin. Letztes Jahr haben wir überall in der Gemeinde Bänke aufgestellt, auf denen neben dem Namen von Petit-Val auch die Namen der Asylsuchenden eingraviert sind, die sie gezimmert haben. Seit der Gemeindefusion vor zehn Jahren arbeiten wir daran, das neue Image zu festigen. Die Bänke sind ein sichtbares Zeichen für die Einbindung aller, auch der Asylsuchenden.
Ist Ihr Engagement auch ein Balanceakt zwischen den Bedürfnissen der Geflüchteten und der Dorfbewohnenden?
Willy Pasche: Absolut. Wir müssen täglich an der Akzeptanz arbeiten. Deshalb versuche ich, aufkommende Probleme stets nachhaltig zu lösen. In der Obstsaison etwa sind die Geflüchteten versucht, Früchte von den Bäumen zu pflücken. Einige Landwirte haben kein Problem damit, doch es gibt auch welche, die das gar nicht gern sehen. Wir empfehlen den Asylsuchenden, stets um Erlaubnis zu bitten, und den Bauern raten wir, den Geflüchteten zu erklären, dass sie das Obst zur Herstellung von Saft oder Marmelade benötigen.
Für die Kinder der Asylsuchenden haben wir eine Tagesstruktur mit einer Integrationsklasse eingerichtet. Von den Familien wird das sehr geschätzt. doch manche im Dorf glauben, dass sie nun auch noch für die Schulbildung der Geflüchteten zahlen müssten. In den gemeindeeigenen Finanzabrechnungen weisen wir deshalb explizit aus, dass die Schule von der Allgemeinheit, also auch vom Kanton, getragen wird.
Eine Lösung, die allen zugutekommt, ist die samstägliche Busverbindung zum Einkaufen. Sie wird auch von den Einheimischen rege genutzt.
Frau Bickel, können Sie uns mehr über Ihre Projekte für Kinder und Familien erzählen?
Irène Bickel: Ich habe sowohl einen guten Draht zu den Dorfbewohnenden wie auch zu den Asylsuchenden. So entwickle ich Angebote, die die Verbindung zwischen beiden Seiten festigen. Einige Freiwillige kamen sogar aus benachbarten Gemeinden, um uns zu unterstützen, und so konnten wir eine breite Palette an Aktivitäten auf die Beine stellen: Turnstunden, Chorsingen, Nachmittage für Kinder, Nähkurse und gemeinsames Kochen. Die Angebote helfen, die Isolation zu durchbrechen und ein Gemeinschaftsgefühl zu schaffen.
Gibt es ein spezielles Projekt für alleinstehende Frauen, die oft vor besonderen Herausforderungen stehen?
Irène Bickel: Wir würden für die Frauen gerne mehr tun, doch bislang beschränken sich unsere Angebote auf persönliche Kontakte. Die Frauen sind oft sehr zurückhaltend, weshalb es wichtig ist, ihnen individuell zuzuhören. Wir erklären ihnen, wie die Schule funktioniert, was sie zum Znüni vorbereiten können und welche Schulutensilien die Kinder benötigen. Für medizinische Anliegen kommt regelmässig eine Pflegefachfrau in die Unterkunft. Ein Kaffeetreff nur für Frauen wäre ein schöner nächster Schritt, doch dafür fehlen uns momentan noch die Freiwilligen.
Willy Pasche: Für die jungen Männer haben wir den Garten eingerichtet.
Irène Bickel: Frauen kommen auch gerne.
Willy Pasche: Es sind tatsächlich auch Frauen gekommen, und wir haben festgestellt, dass die oft effizienter arbeiten. Ihnen brauchen wir kaum zu erklären, wie Gartenwerkzeuge eingesetzt werden müssen. Letztes Jahr haben wir die Bänke gemeinsam gebaut; da konnten die Männer ihre Körperkraft und ihr handwerkliches Geschick einbringen. Für den Winter suchen wir jetzt neue Beschäftigungsmöglichkeiten, aber auch wir müssen wieder etwas zu Kräften kommen. Leider mussten wir feststellen, dass einige Asylsuchende psychische Probleme entwickelt haben. Sie haben sich zurückgezogen, sodass wir sie persönlich aufsuchen und begleiten mussten. Diese individuelle Betreuung ist sehr zeit- und energieaufwendig.
Der politische Diskurs in der Schweiz wird zunehmend asylkritischer. Wie überzeugen sie die Leute dennoch davon, dass die Aufnahme von Geflüchteten richtig und wichtig ist?
Willy Pasche: Ich kenne die Menschen hier gut und weiss, dass unter ihnen viele mit Herz und Lebenserfahrung sind. Es geht darum, günstige Bedingungen für Alle zu schaffen. Natürlich gibt es junge Leute, die den aktuellen Zeitgeist nutzen möchten, um sich zu profilieren. Deshalb rechne ich an Gemeindeversammlungen natürlich mit kritischen Stimmen. Doch letztendlich vertraue ich auf das humanitäre Erbe unserer Region, die mit den Menoniten auf eine lange Tradition in der Aufnahme von Geflüchteten zurückblicken kann.
Trotz unterschiedlichen politischen Ansichten müssen wir die einheimische Bevölkerung, aber auch die Asylsuchenden respektieren. Der Berner Gesundheitsdirektor, selbst aus der SVP und für die Unterbringung von Geflüchteten zuständig, ist sehr zufrieden mit unserer Arbeit. Ich denke, dass wir das politisch nutzen können, indem wir sagen: Wir machen in Petit-Val unsere Arbeit, und nun sind die Behörden angehalten, ihren Teil beizutragen, damit die von uns begonnenen Integrationsbemühungen gelingen können.
Was erwarten Sie konkret vom SEM?
Willy Pasche: Es würde meiner Meinung nach helfen, wenn die fallführenden Sachbearbeiter einmal vor Ort kämen, um mit uns, den verantwortlichen Behördenvertretern, aber auch mit den Freiwilligen zu sprechen. Sie sind es doch, die tagtäglich mit den Geflüchteten unterwegs sind. Das wäre ein Weg, die Entscheidungsprozesse menschlicher und verständlicher zu gestalten.
Das SEM sieht sich an das Asylgesetz gebunden, aber wir sind überzeugt, dass bei der Entscheidfindung die Integrationsbemühungen der Geflüchteten auch berücksichtigt werden sollten.