Afghanistan: Gewalt eskaliert mitten im US-Abzug

16. Juli 2021

Der überstürzte Rückzug der amerikanischen Truppen und der NATO in Afghanistan hinterlässt Chaos, während die Taliban an Boden gewinnen. Die Schweizerische Flüchtlingshilfe (SFH) weist erneut darauf hin, dass Wegweisungen von Asylsuchenden angesichts der sich weiter zuspitzenden Sicherheitslage mehr denn je unhaltbar sind.

Alle NATO-Soldaten wurden bereits aus Afghanistan abgezogen. Die US-Truppen werden ihren Afghanistan-Einsatz bereits am 31. August beenden und nicht erst wie ursprünglich geplant am 11. September. Aktuell haben bereits über 90 Prozent der amerikanischen Militärkräfte das Land verlassen.

Erneute Machtübernahme der Taliban, Zusammenbruch des Landes und Bürgerkrieg –möglich Szenarien

Die Taliban haben nicht bis zum vollständigen Abzug der Amerikaner gewartet, um grosse Teile des Landes zurückzuerobern. Eigenen Angaben zufolge kontrollieren sie bereits über «85 Prozent Afghanistans», wobei lokale Behördenvertreter diese Zahl in Frage stellen. In den vergangenen Tagen versuchten die Taliban, den mehrheitlich von Tadschiken und Hazara besiedelten Norden des Landes einzunehmen. Die Taliban rücken immer näher an die im Nordosten Afghanistans gelegenen Städte Kundus und Mazar-i-Sharif heran und blockieren wichtige Verbindungen in der Region rund um Kabul.

Neben der fortschreitenden Rückeroberung von Gebieten durch die Taliban ist zu befürchten, dass der überstürzte Abzug der ausländischen Truppen höchstwahrscheinlich zu einer Ausweitung der Kämpfe, zum Zusammenbruch der Regierung und zu einem Bürgerkrieg führen wird. Aus diesen Gründen ist es durchausmöglich, dass es in den nächsten Monaten zu einer erneuten Verschlechterung der Sicherheitsbedingungen und der Menschenrechtslage kommen wird, für die wiederum die Zivilbevölkerung einen hohen Preis zahlen müsste.

Wegweisung afghanischer Staatsangehöriger muss eingestellt werden

In einer am 10. Juli veröffentlichten Mitteilung forderte die afghanische Regierung die europäischen Staaten und die Schweiz auf, Wegweisungen von Staatsangehörigen nach Afghanistan angesichts der sich verschlechternden Sicherheitslage und der eskalierenden Gewalt für die nächsten drei Monate auszusetzen. 2021 hat die Schweiz jedoch bereits 140 Wegweisungsentscheide verfügt. Seit Jahren weist die SFH immer wieder darauf hin, dass Wegweisungen von Asylsuchenden nach Afghanistan unhaltbar sind. In einem aktuellen Bericht hebt die SFH ausserdem hervor, dass afghanische Staatsangehörige bei ihrer Rückkehr aufgrund ihrer «Verwestlichung» gewalttätigen Übergriffen seitens der Bevölkerung ausgesetzt sein können. Die Schweizer Behörden sind dennoch der Ansicht, dass eine Wegweisung in die Städte Kabul, Herat und Mazar-i-Sharif zumutbar ist, sofern die betroffenen Personen dort über ein soziales und familiäres Netzwerk verfügen. Angesichts der derzeitigen Umstände stellt die SFH einmal mehr mit Nachdruck fest, dass diese Praxis der Behörden unhaltbar ist.

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