Frontex-Vorlage: Stimmfreigabe der SFH

21. April 2022

Am 15. Mai befindet die Schweizer Stimmbevölkerung darüber, ob die Schweiz die neue EU-Verordnung zur europäischen Grenzschutzagentur Frontex übernimmt. Die Kritik an Frontex ist berechtigt, gleichzeitig würde bei einer Ablehnung der Vorlage die Schengen-Dublin-Assoziierung in Frage gestellt. Der Vorstand der Schweizerischen Flüchtlingshilfe (SFH) sieht in der Vorlage Chancen und Risiken. Er hat daher eine Stimmfreigabe beschlossen.

Miriam Behrens, Direktorin

Die EU-Verordnung, über welche wir am 15. Mai abstimmen, sieht einen massiven Ausbau von Frontex vor. Auch die Schweiz muss ihren finanziellen Beitrag an Frontex schrittweise erhöhen, ebenso ihre personelle Beteiligung. Es geht bei der Abstimmung aber um weit mehr: Im Zentrum steht nicht nur die europäische Politik an den EU-Aussengrenzen und die Verantwortung der Schweiz, sondern auch ihre künftige Rolle innerhalb der europäischen Flüchtlings- und Asylpolitik.

Berechtigte Kritik an Frontex

Die SFH kritisiert die europäische Grenzschutzagentur Frontex seit Jahren, da sie in Korruptionsskandale und Menschenrechtsverletzungen an den EU-Aussengrenzen verwickelt ist. Frontex wäre verpflichtet, sämtliche ihrer Massnahmen im Einklang mit der EU-Grundrechtscharta, der Europäischen Menschen­rechtskonvention und anderen Normen des Völkerrechts durchzuführen. Doch die Agentur sieht etwa weg, wenn der Zugang zum Asylverfahren entlang der griechisch-türkischen Grenze unter brutaler Gewaltanwendung verhindert wird. Dass die europäische Agentur sogar selbst an solchen illegalen Push-Backs beteiligt ist und ihre Überwachungsfunktion nicht ausreichend wahrnimmt, ist aus Sicht der SFH schlicht inakzeptabel. Die Zustände an den europäischen Aussengrenzen sind für den Flüchtlingsschutz und die betroffenen Menschen verheerend. Dass das Referendum gegen den Ausbau von Frontex und damit gegen die menschenverachtende Politik an Europas Aussengrenzen ergriffen wurde, kann die SFH daher sehr gut nachvollziehen.

Es darf bei dieser Argumentation allerdings nicht vergessen werden, dass die Menschenrechtsverletzungen an den EU-Aussengrenzen hauptsächlich durch nationale Behörden erfolgen. Als im vergangenen Jahr Tausende Geflüchtete in der Grenzregion zwischen Polen und Belarus gefangen waren und Polen seine Grenzen für diese Schutzsuchenden gewaltsam abriegelte, war Frontex nicht vor Ort. Polen verweigerte den Einsatz der europäischen Grenzwächter. Frontex kommt nur dort zum Einsatz, wo es die EU-Mitgliedsstaaten zulassen.

Drohender Rauswurf aus Schengen-Dublin

Der Ausgang der Abstimmung vom 15. Mai hat bedauerlicherweise keinen Einfluss auf Europas Ausbau von Frontex. Die neue EU-Verordnung ist seit Dezember 2019 in Kraft und wird von den Mitgliedsstaaten bereits umgesetzt. Der finanzielle Beitrag der Schweiz ist auch nicht verhandelbar. Er richtet sich gestützt auf das Schengener Assoziierungsabkommen nach dem «Schengen-Schlüssel» und kann weder gekürzt noch ausgesetzt werden.

Als Mitglied des Schengen-Raums ist die Schweiz verpflichtet, den neuen Rechtsakt innerhalb von zwei Jahren zu übernehmen. Tut sie das nicht, muss die Schweiz innert 90 Tagen im gemischten Ausschuss mit sämtlichen Mitgliedsstaaten und der EU-Kommission einstimmig eine Lösung finden. Dafür stehen die Chancen aktuell sehr schlecht, da die Schweiz in den letzten Jahren in Europa viele Sympathien verspielt hat. Wird keine Lösung gefunden, wird das Schengener-Assoziierungsabkommen als beendet angesehen und tritt nach weiteren drei Monaten automatisch ausser Kraft. Für die Schweiz wäre damit der Ausschluss aus Schengen-Dublin, der Verlust des Frontex-Verwaltungsratssitzes und ein Alleingang in der Flüchtlings- und Asylpolitik verbunden. Die Risiken der Abstimmung sind daher im Vergleich zu den möglichen Verbesserungen hoch.

Es braucht europäische Lösungen

Die SFH ist überzeugt, dass es für den Schutz und die Wahrung der Grundrechte geflüchteter Menschen die Zusammenarbeit aller europäischen Staaten braucht. Um die Situation für die Geflüchteten entlang der europäischen Aussengrenzen zu verbessern braucht es politischen Willen und eine europäische Agentur, die die Einhaltung der Flüchtlingsrechte an diesen Grenzen durchsetzt. Dazu muss Frontex grundlegend reformiert werden. Die SFH setzt sich deshalb mit ihrem europäischen Dachverband ECRE seit Jahren für ein unabhängiges und effektives Melde-, Untersuchungs- und Überwachungssystem der Agentur ein. Die für die Missstände verantwortlichen Personen müssen zudem konsequent zur Rechenschaft gezogen werden.

Die Schweiz trägt gegenüber Frontex eine besondere Verantwortung. Als stimmberechtigtes Mitglied des Frontex-Verwaltungsrates muss sie basierend auf ihren menschenrechtlichen Verpflichtungen eine lückenlose Aufklärung der Missstände einfordern und sich für die demokratische Überwachung der Grenzschutzagentur einsetzen.

Damit die erforderliche Reform auch tatsächlich erfolgt und nachhaltig umgesetzt wird, braucht es weiterhin starken öffentlichen Druck. Das Referendum trägt dazu bei, indem es eine breite Debatte ermöglicht. Die SFH bringt ihr Fachwissen via Web und Social Media aktiv in die laufende Abstimmungsdebatte ein.

Unsere Arbeit ist nur dank Ihrer Unterstützung möglich.

Jetzt spenden