Die Familienzusammenführung für Geflüchtete muss erleichtert werden

10. Juni 2021

Zahllose Menschen werden jedes Jahr wegen Flucht von ihren Familienangehörigen getrennt. Die Wiedervereinigung stösst oft auf rechtliche und bürokratische Hürden, gerade in der Schweiz.

Oliver Lüthi, Abteilungsleiter Kommunikation

Millionen von Menschen müssen aufgrund von Kriegen, Konflikten oder politischer Verfolgung jedes Jahr ihre Heimat verlassen. Oft lassen sie dabei ihre Familienangehörigen zurück oder werden auf der Flucht von diesen getrennt. Diese Trennung und die stete Sorge um das Schicksal der zurückgelassenen Angehörigen sind für die Betroffenen kaum zu ertragen. Sobald sie in einem sicheren Aufnahmeland angekommen sind, ist die Wiedervereinigung mit den eigenen Familienangehörigen für die Geflüchteten deshalb zentral – und Voraussetzung für eine erfolgreiche Integration. Trotzdem schränken verschiedene Staaten in Europa die Familienzusammenführung für Geflüchtete ein. Dies gilt besonders auch für die Schweiz, wo die bestehenden gesetzlichen Grundlagen und die restriktive Behördenpraxis die Familienzusammenführung massiv erschweren.

Dabei sind die Bedeutung der Familie und die Notwendigkeit ihres Schutzes unbestritten und in verschiedenen internationalen und nationalen Rechtsquellen festgehalten. Das Flüchtlingsvölkerrecht, verschiedene Menschenrechtskonventionen und die Bundesverfassung: Sie alle anerkennen den Grundsatz der Familieneinheit und das Recht auf Achtung des Familienlebens. Bei der rechtlichen und praktischen Umsetzung allerdings hapert es in der Schweiz. Besonders schwierig ist die Situation für vorläufig Aufgenommene. Neben einer dreijährigen Wartefrist müssen sie auch strenge ökonomische Auflagen erfüllen, damit sie mit ihren Familien zusammengeführt werden können. So dürfen sie keine Sozialhilfe beziehen, ausserdem müssen sie über eine genügend grosse Wohnung verfügen. In der Praxis genügen nur die Wenigsten diesen Kriterien.  

Politischer Widerstand

Politische Bestrebungen, die Familienzusammenführung für Geflüchtete zu erleichtern, werden von bürgerlicher Seite konsequent bekämpft. Und auch der Bundesrat strebt hier keine Verbesserungen an. Die aktuelle Situation ist gewollt, gerade bei den vorläufig Aufgenommenen. Diese sollen die Schweiz möglichst rasch wieder verlassen, sobald eine Rückführung in ihr Herkunftsland möglich ist. Dabei wird ignoriert, dass vorläufig Aufgenommene oft langfristig in der Schweiz bleiben und über einen vergleichbaren Schutzbedarf wie anerkannte Flüchtlinge verfügen. Statt die Voraussetzungen zu schaffen, dass sich die betreffenden Personen in der Schweiz integrieren können, werden Hürden aufgebaut. Die Politik ignoriert damit, dass ein geregeltes und sicheres Familienleben die Voraussetzung bildet, damit Geflüchtete bei uns ein neues Leben aufbauen und einen eigenen Beitrag zu unserer Gesellschaft leisten können. Forderungen von rechter Seite nach verbesserter Integration wiederum werden als Lügen entlarvt, wenn die gleichen Leute die dafür notwendigen Voraussetzungen verwehren.

Kernforderungen der Schweizerischen Flüchtlingshilfe

Die Möglichkeiten, die Familienzusammenführung von Geflüchteten zu erleichtern, sind mannigfaltig. Für die Schweizerische Flüchtlingshilfe (SFH) ist zentral, die Situation der vorläufig Aufgenommenen zu verbessern. Die Bürgerkriegssituationen in ihren Herkunftsländern dauern teilweise bereits 30, 40 Jahre. Für sie sollen deshalb die gleichen Regeln gelten wie für anerkannte Flüchtlinge mit Asyl.

Dann ist der Familienbegriff auszuweiten. Gemäss aktueller Gesetzgebung haben nur Mitglieder der Kernfamilie wie Ehepartner, eingetragene Lebenspartner, Konkubinatspartner und minderjährige Kinder von Flüchtlingen mit Asyl Anspruch auf Familienzusammenführung. Unsere Vorstellung von Kernfamilie entspricht aber oft nicht der Realität von Geflüchteten. In Kriegen werden Familien auseinandergerissen, neue Familienbindungen entstehen. Wenn gemäss den individuellen Umständen eine enge Bindung oder ein Abhängigkeitsverhältnis besteht, sollen deshalb weitere Bezugspersonen wie Geschwister, Eltern, Grosseltern oder Enkelkinder für die Familienzusammenführung berücksichtigt werden.

Schliesslich soll der umgekehrte Familiennachzug ermöglicht werden. Die Kinderrechte und das Recht auf Familieneinheit sind grundlegende Menschenrechte, die auch im Asylbereich vorrangig berücksichtigt und geschützt werden müssen. Kinder gelangen teilweise unbegleitet in die Schweiz. Eltern oder auch anderen nahen Bezugspersonen von unbegleiteten Kindern soll deshalb die Einreise in die Schweiz ermöglicht werden, wenn dies dem Kindesinteresse entspricht.

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