Afghanistan: Rückzug ausländischer Truppen – mit welchen Garantien für die Zivilbevölkerung?

16. April 2021

In den kommenden Monaten ziehen sich die letzten ausländischen Truppen aus Afghanistan zurück. Viele Beobachter fürchten deshalb eine Machtübernahme durch die Taliban. Die Sicherheitslage und die Menschenrechtssituation könnten sich dadurch erneut verschlechtern. Die Schweizerische Flüchtlingshilfe (SFH) weist schon seit mehreren Jahren darauf hin, dass Wegweisungen von Asylsuchenden nach Afghanistan unhaltbar sind. In Anbetracht des Abzugs der ausländischen Truppen bleibt die Lage vor Ort unsicherer denn je.

Der US-amerikanische Präsident Joe Biden hat am 14. April 2021 angekündigt, dass die amerikanischen Truppen, einschliesslich der NATO-Einsatzkräfte, Afghanistan noch vor dem 11. September 2021 verlassen werden. Gemäss dem im Februar 2020 unterzeichneten Abkommen zwischen den Vereinigten Staaten und den Taliban sind letztere zwei Verpflichtungen eingegangen: Erstens werden sie im Gegenzug islamistischen Bewegungen wie Al Kaida, welche die Vereinigten Staaten oder ihre Verbündeten angreifen, keinen Schutz mehr gewähren, und zweitens werden sie direkte Gespräche mit der afghanischen Regierung beginnen. Diese im September 2020 aufgenommenen inner-afghanischen Gespräche sollen am 24. April 2021 in Istanbul fortgesetzt werden. Der Ausgang dieser Verhandlungen, die sich auf die Möglichkeit konzentrieren, eine gemeinsame Übergangsregierung zu bilden, an der die Taliban beteiligt wären, ist jedoch weiterhin ungewiss und gibt Anlass zu zahlreichen Befürchtungen, zumal es keine klaren Zusicherungen auf dem Gebiet der Frauenrechte gibt. Darüber hinaus waren Letztere von diesen Gesprächen bislang weitgehend ausgeschlossen.

Risiko eines Zusammenbruchs der Regierung und einer erneuten Verschlechterung der Sicherheitslage

Bestimmte Expert*innen fürchten, dass ein überstürzter Abzug der ausländischen Truppen zu einer Ausweitung der Kämpfe, zum Zusammenbruch der Regierung und zu einer erneuten Machtübernahme durch die Taliban führen wird. Andere Expert*innen befürchten, dass es zu einem Bürgerkrieg kommt, an dem sich auch Warlords und Milizen beteiligen werden. Diese würden einer von den Taliban dominierten Regierung sehr kritisch gegenüberstehen. Aus diesem Grund ist es durchaus plausibel, dass es in den nächsten Monaten zu einer erneuten Verschlechterung der Sicherheitsbedingungen und der Menschenrechtslage kommen wird, für die wiederum die Zivilbevölkerung einen hohen Preis zahlen müsste. Laut Angaben der Vereinten Nationen ist diese weiterhin stark vom Konflikt betroffen. Im Jahr 2020 wurden 8820 Opfer registriert. 43 Prozent davon waren Frauen und Kinder. Mit 390 weiblichen Todesopfern war 2020 für Frauen das verheerendste Jahr seit 2009.

Wegweisungen nach Afghanistan sind unhaltbar

Da Afghanistan und die Europäische Union beabsichtigen, ein Migrationsabkommen zu unterzeichnen, das die Ausweisung von fast 500 Personen pro Monat erlauben könnte, ist zu befürchten, dass das Risiko für Wegweisungen in dieses Land künftig steigt, und dies trotz der extrem prekären Sicherheits-, Wirtschafts- und Menschenrechtslage. Dies gilt auch für die drei Städte Kabul, Mazar-i-Sharif und Herat. Die Schweizer Behörden sind der Ansicht, dass eine Wegweisung in diese Städte unter bestimmten Voraussetzungen zumutbar ist. Die Sicherheitsprobleme sind jedoch nicht der einzige Grund, der gegen eine Rückführung von Personen nach Afghanistan spricht. In einem aktuellen Bericht hat die SFH darauf hingewiesen, dass afghanische Asylsuchende bei ihrer Rückkehr von den lokalen Gemeinschaften, den nationalen Behörden und sogar von ihren eigenen Familien wegen der möglichen «Verwestlichung», der sie im Ausland ausgesetzt waren, mit grossem Misstrauen betrachtet werden. Sie werden verdächtigt, einen zu westlichen Lebensstil angenommen zu haben (Akzent, Kleidungsstil, Haarschnitt usw.) und sich nur schwer wieder eingliedern zu können. Die SFH betont schon seit Jahren, dass Wegweisungen von Asylsuchenden nach Afghanistan unhaltbar sind. In Anbetracht des Abzugs der amerikanischen Truppen bleibt die Lage vor Ort prekärer denn je.

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