Die Update-Berichte «Afghanistan: Die aktuelle Sicherheitslage» und «Afghanistan: Gefährdungsprofile» wurden von der Afghanistanexpertin Corinne Troxler im Auftrag der SFH-Länderanalyse verfasst. Sie bieten einen umfassenden Überblick über die politischen Geschehnisse, die Sicherheitslage, die Menschenrechtslage sowie die sozioökonomische Situation in Afghanistan bis Oktober 2021. Neben faktenbasierten, chronologisch aufgeführten Informationen aus sorgfältig recherchierten Quellen (UNO, NGOs, Medienschaffende) finden sich darin auch Einschätzungen von Afghanistan-Expert*innen zu den internen Machtverhältnissen unter dem neuen Talibanregime und den zu erwartenden Entwicklungen für die afghanische Bevölkerung.
Klima des Misstrauens und der Angst
Die Berichte zeigen, wie kritisch die afghanische Bevölkerung nach den Erfahrungen der Vergangenheit den Versprechungen der Taliban, die Menschenrechte zu schützen und eine Generalamnestie umzusetzen, gegenüberstehen. Berichte über Hausdurchsuchungen, Fahndungslisten und Vergeltungstötungen haben vielmehr eine Atmosphäre von Misstrauen und Angst geschaffen. Neben ehemaligen Angehörigen der afghanischen Sicherheitskräfte haben auch Frauenaktivistinnen oder Medienschaffende Anlass zur Sorge, immer wieder kommt es zu gezielten und persönlichen Bedrohungen. Viele Afghan*innen halten sich deshalb inzwischen versteckt.
Eingeschränkte Rechte bereits vor der Machtübernahme der Taliban
Gleichzeitig zeigen die Berichte aber auch, dass die Rechte von Frauen und Mädchen bereits vor der Machtübernahme der Taliban stark eingeschränkt waren. Hierzu gehörte ein erschwerter Zugang zu Bildungs- und Gesundheitseinrichtungen, aber auch zu Arbeit oder politischer Partizipation. Mädchen und Frauen waren im Alltag gewaltsamen Übergriffen, häuslicher Gewalt, Missbrauch, Vergewaltigung, Zwangsheiraten sowie «Ehrenmorden» ausgesetzt. Bereits für 2020 waren insbesondere in den von den Taliban kontrollierten Gebieten Vorfälle von Tötungen und grausamer, unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Bestrafung von Frauen dokumentiert worden.
Es droht eine humanitäre Katastrophe
Seit der Machtübernahme der Taliban hat sich aufgrund der abrupt weggefallenden internationalen Unterstützung zusätzlich die humanitäre Lage dramatisch verschärft. 40 Jahre Krieg und interne Vertreibung sowie wiederkehrende Naturkatastrophen haben eine akut gefährdete Bevölkerung zurückgelassen, die über wenige wirtschaftliche Ressourcen verfügt. Afghanistan steht deshalb nur wenige Wochen nach dem Abzug der internationalen Truppen unmittelbar vor einer humanitären Katastrophe. So warnte der schwedische Entwicklungsminister Per Olsson Fridh am 24. Oktober 2021: «Das Land steht am Rande des Zusammenbruchs, und dieser Zusammenbruch kommt schneller als wir dachten».
Die Schweizerische Flüchtlingshilfe (SFH) verweist deshalb erneut auf ihre Forderungen, insbesondere die Bedeutung der humanitären Hilfe. Die afghanische Zivilbevölkerung ist auf internationale Unterstützung angewiesen. Ausserdem braucht es weiterhin sichere Fluchtwege aus Afghanistan.