«Die Unterbringung bei einer Gastfamilie ist ein starker Integrationsmotor»
Seit 2016 kümmert sich das Etablissement vaudois d’accueil des migrants (EVAM) im Kanton Waadt um die Unterbringung von Geflüchteten bei Gastfamilien. Das Angebot wurde 2015 von der Schweizerischen Flüchtlingshilfe (SFH) lanciert. Simon Aladjem, Mitarbeiter der Abteilung Interface des EVAM, erklärt, wie das Angebot organisiert ist, und wie es sich in den letzten sieben Jahren entwickelt hat.
Interview: Virginie Jaquet, Redaktorin bei der SFH
Simon Aladjem, welche Bilanz zieht das EVAM beim Angebot der Unterbringung von Geflüchteten in Gastfamilien?
«Eine sehr positive Bilanz. Zu Beginn betreuten drei Mitarbeiterinnen das Angebot, seit 2020 sind es sieben Mitarbeitende. Im Zuge der Ukrainekrise und der Entwicklung des Projekts begleiteten letztes Jahr bis zu vierzehn Mitarbeitende die Platzierungen bei Gastfamilien. Nach sieben Jahren Erfahrung und Hunderten von Platzierungen konnten wir feststellen, dass aus der Unterbringung bei Gastfamilien sehr schöne Geschichten entstehen und sie eine Quelle der Bereicherung ist, sowohl für die Aufgenommenen als auch für die Gastfamilien.»
Welchen Geflüchteten wird die Unterbringung in einer Gastfamilie angeboten?
«Allen Geflüchteten, die dauerhaft in der Schweiz bleiben können, und dies unabhängig von ihrer Herkunft. Das Wichtigste ist, dass sie Lust haben, Momente zu teilen und auf andere zuzugehen.»
Vermitteln Sie eher Einzelpersonen oder Familien?
«Wen wir vermitteln, spiegelt auch den aktuellen Stand bei den Asylgesuchen wider. Als wir das Projekt 2016 in der Zeit der Krise in Syrien starteten, waren es mehrheitlich einzelne Männer, die von Familien aufgenommen wurden. Im Zuge der Ukrainekrise haben wir vor allem einzelne Frauen oder Frauen mit Kindern platziert.»
Der Kriegsausbruch in der Ukraine und die Ankunft tausender ukrainischer Geflüchteter war für die Schweiz eine Herausforderung. Wie viele von ihnen wurden durch die Vermittlung des EVAM im Kanton Waadt in Gastfamilien untergebracht?
«Vor der Ukrainekrise haben wir um die 50 Geflüchteten in etwa 40 Gastfamilien vermittelt. Von Juni bis Oktober 2022 haben wir über 900 ukrainische Geflüchtete in etwa 500 Gastfamilien platziert. Aktuell sind noch fast 600 Personen bei etwas mehr als 250 Gastfamilien untergebracht.»
Wie hat das EVAM diese starke Zunahme der Anzahl Vermittlungen bewältigt?
«Unsere langjährige Erfahrung hat uns geholfen, durch diese Zeit zu kommen. Im Laufe der Jahre haben wir unsere Betreuung und die Verwaltungsabläufe für die Unterbringung in Gastfamilien verbessert. Ausserdem haben wir das Team deutlich vergrössert, um dem Angebot gerecht zu werden.»
Wie läuft die Unterbringung bei einer Gastfamilie konkret ab?
«Wir treffen uns mit den interessierten Geflüchteten sowie mit den Gastfamilien. Anschliessend werden Treffen zwischen Interessierten und Familien organisiert. Dieser Prozess braucht Zeit, das lohnt sich aber, damit eine gute Platzierung gewährleistet ist. Nach der Platzierung betreuen wir die Gastfamilie und die geflüchtete Person während ihres Zusammenlebens weiter. Pro Platzierung gibt es je eine Ansprechperson. In Zusammenarbeit mit der SFH bieten wir auch Schulungen für Gastfamilien an. Eine gute Betreuung hat bei uns Priorität.»
Haben Sie diesen Prozess für die Unterbringung von ukrainischen Geflüchteten beibehalten?
«Ja, wir haben versucht, unseren Prozess für die Unterbringung ukrainischer Geflüchteter unverändert weiterzuführen. Angesichts der Dringlichkeit der Situation mussten wir jedoch einige Fristen verkürzen. Wir haben zudem zahlreiche Gastfamilien unterstützt, die ohne unsere Vermittlung ukrainische Geflüchtete aufgenommen hatten.»
Die SFH ist der Meinung, dass die Unterbringung in einer Gastfamilie die Integration von Geflüchteten in die Gesellschaft fördert. Welche weiteren Vorteile hat diese Art der Unterbringung Ihrer Ansicht nach?
«Die Unterbringung in einer Gastfamilie ist gewiss ein starker Integrationsmotor. Wir stellen auch positive Auswirkungen beim Lernen der Sprache, bei der Arbeitssuche und bei der eingehenderen Kenntnis von Eigenheiten der lokalen Kultur fest. Die Gastfamilien sind eine wichtige Stütze für die Geflüchteten.»
Was wünschen Sie sich für die Zukunft?
«Wir möchten weiterhin so gut wie möglich die Gastfamilien und diejenigen, die bei ihnen leben, unterstützen. Wir hoffen, noch viele Bewerbungen von Familien zu erhalten, die gerne schöne gemeinsame Momente erleben und Menschen unterstützen möchten, die in der Schweiz Zuflucht suchen.»
Gastfamilie im Kanton Waadt werden
Wenn Sie Interesse haben, eine geflüchtete Person bei sich aufzunehmen, können Sie sich direkt an EVAM wenden, telefonisch unter 021 338 99 11 oder via E-Mail an heberger-un-migrant@evam.ch.
Weitere Informationen und Gastfamilien in einem anderem Kanton werden
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