Nun ist es amtlich: Im ersten Jahr des neuen Asylsystems gab es nicht viel mehr Beschwerden gegen erstinstanzliche Asylentscheide des Staatssekretariats für Migration (SEM) als vorher – aber die erhobenen Beschwerden waren deutlich häufiger erfolgreich. Bei 15 Prozent der Beschwerden nach neuem Asylrecht wies das Bundesverwaltungsgericht (BVGer) den Fall zur Neubeurteilung zurück ans SEM. Diese Quote ist damit mehr als doppelt so hoch als bei den «Altfällen» (6,5 Prozent), wie aus der jüngst publizierten Jahresbilanz des BVGer hervorgeht. Zusätzlich hiess das Gericht demnach sechs Prozent der Beschwerden ganz oder teilweise gut. Insgesamt war damit mehr als jede fünfte Beschwerde nach neuem Recht erfolgreich.
Zu viel Gewicht auf Fristen
Die Zahlen des BVGer unterstreichen damit die Kritik der SFH, die bereits Anfang Februar die unausgewogene Umsetzung des neuen Asylsystems bemängelt hatte: «Der Fokus der Behörden lag primär auf der Steigerung von Effizienz und Geschwindigkeit», lautete das damalige Fazit der SFH-Bilanz – und «dieser enorme Zeitdruck belastet den Rechtschutz und geht auf Kosten von Fairness und Qualität der Verfahren». Das BVGer bestätigt diese Erkenntnisse nun auch inhaltlich, indem es konstatiert: «Die Kassationen erfolgten in den weitaus meisten Fällen, weil das SEM den Sachverhalt nicht hinreichend festgestellt hatte. Dies betraf in erster Linie den Asylgrund. Zweithäufigste Ursache war, dass das SEM die medizinischen Probleme der Asylsuchenden zu wenig abgeklärt hatte.»
Das BVGer nimmt indes keine Würdigung dieser bedenklichen Qualitätseinbusse bei den erstinstanzlichen SEM-Entscheiden vor. Es konzentriert sich in seiner Medienmitteilung vielmehr auf die Einhaltung der eigenen Behandlungsfristen – und zeigt damit ein weiteres Mal auf, wie übermässig stark im neuen Asylverfahren die Beschleunigung und die Einhaltung der knappen Behandlungsfristen gewichtet wird.
Es braucht Anpassungen
Die SFH unterstützt das neue Verfahren nach wie vor. Sie begrüsst auch, dass Asylsuchende heute im Beschwerdeverfahren rascher einen Entscheid des BVGer erhalten. Die SFH hält aber daran fest, dass es Anpassungen am System braucht, damit dessen Zielsetzung tatsächlich realisiert werden kann, die Rechte der Betroffenen zu stärken, rasche und faire Verfahren durchzuführen sowie eine hohe Qualität der Asylentscheide zu gewährleisten. Dazu braucht es mehr Zeit bei den einzelnen Verfahrensschritten, insbesondere bei der Vorbereitung, bei der Untersuchung der Fluchtgründe und in der Entscheidfindung. Die hier gezielt investierte Zeit zahlt sich am Ende doppelt aus: Die Qualität der Asylentscheide wird erhöht und dadurch langwierige Beschwerdeverfahren verhindert.