Parlament schrÀnkt Grundrechte von Schutzsuchenden weiter ein

15. September 2021

Die Schweizerische FlĂŒchtlingshilfe (SFH) kritisiert die Zustimmung des Parlamentes zur systematischen ÜberprĂŒfung der Handydaten im Asylverfahren sowie zu Corona-Zwangstests bei Ausschaffungen scharf. Die entsprechenden GesetzesĂ€nderungen fĂŒhren zu unverhĂ€ltnismĂ€ssigen und schwerwiegenden Eingriffen in die Grundrechte der Betroffenen. Diese EinschrĂ€nkungen sind unnötig, denn die Behörden verfĂŒgen ĂŒber mildere Massnahmen.

Nach dem Nationalrat hat heute auch der StĂ€nderat eine Gesetzesvorlage zur ÜberprĂŒfung von elektronischen DatentrĂ€gern im Asylverfahren angenommen. Behörden können somit kĂŒnftig auf Smartphones, Tablets, Laptops oder andere DatentrĂ€ger von Asylsuchenden zugreifen, um die IdentitĂ€t und Staatsangehörigkeit der Betroffenen zu klĂ€ren. Die SFH hat das Vorhaben wiederholt scharf kritisiert, denn es fĂŒhrt zu einem unverhĂ€ltnismĂ€ssig starken Eingriff in die PrivatsphĂ€re der Asylsuchenden und ist aus Sicht des Datenschutzes höchst bedenklich. Die Gesetzesvorlage weist zudem gravierende LĂŒcken und MĂ€ngel auf. So fehlt etwa eine unabhĂ€ngige Kontrolle der DatenĂŒberprĂŒfung, und das Verfahren des Datenzugriffs, der -auswertung und der -speicherung ist nicht klar geregelt. Die SFH fordert nun Transparenz bei der Umsetzung: Der Bundesrat muss genau definieren auf welche DatentrĂ€ger das Staatssekretariat fĂŒr Migration (SEM) zugreifen darf und wie lange diese eingezogen werden. Zudem sollte er klare Kriterien zur Triage und Definition vorlegen, welche Daten zur AbklĂ€rung von IdentitĂ€t und NationalitĂ€t erforderlich sind und daher tatsĂ€chlich erhoben werden dĂŒrfen – und welche nicht. Dabei muss die EinschĂ€tzung des Eidgenössischen Datenschutz- und Öffentlichkeitsbeauftragten (EDÖB) einbezogen werden.

Zwangs-Covid-19-Tests: rechtlich und medizinisch unverantwortbar

Der StĂ€nderat hat zugleich noch weitere GrundrechtseinschrĂ€nkungen beschlossen, etwa mit der Annahme einer Gesetzesvorlage, wonach abgewiesene Asylsuchende kĂŒnftig zu Covid-19-Tests gezwungen werden können, wenn AufnahmelĂ€nder und Luftverkehrsunternehmen fĂŒr deren Ausschaffung ein negatives Testresultat verlangen. Aus Sicht der SFH ist der Testzwang rechtlich und medizinisch unverantwortbar, denn es besteht erhebliche Verletzungsgefahr, wenn sich eine Person physisch gegen den Test wehrt und dieser dennoch durchgefĂŒhrt wird. Die SFH hat in ihrer Vernehmlassungsantwort darauf hingewiesen, dass ein Zwangs-Covid-Test einen unverhĂ€ltnismĂ€ssigen instrumentellen Eingriff in den menschlichen Körper darstellt und somit das Recht auf physische IntegritĂ€t verletzt. Bisher wird keine andere Bevölkerungsgruppe zu einem Covid-Test verpflichtet und gezwungen. Aus Sicht der SFH ist ein Testzwang kaum umsetzbar: Laut der Gesetzesvorlage darf beim Testen kein Zwang ausgeĂŒbt werden, der die Gesundheit der betroffenen Person gefĂ€hrden könnte. Die Schweizerische Akademie der Medizinischen Wissenschaften (SAMW) hĂ€lt fest, dass die DurchfĂŒhrung eines Zwangs-Covid-Tests bei aktiver Gegenwehr der Betroffenen immer ein Gesundheitsrisiko beinhaltet und deshalb dem Berufsethos von Medizinalpersonen widerspricht. Die SAMW weist nebst ethischen und medizinischen GrĂŒnden auf das Risiko einer Strafverfolgung gegen die ausfĂŒhrende Gesundheitsfachperson hin und empfiehlt den Medizinalpersonen im Zweifelsfall die DurchfĂŒhrung des Tests abzulehnen. Diese klaren Worte aus medizinethischer Sicht bestĂ€tigen die Bedenken der SFH. Sie fordert, dass auf Covid-Tests gegen den Willen der Betroffenen aufgrund erhöhter Verletzungsgefahr grundsĂ€tzlich verzichtet wird. Damit in der Praxis sichergestellt ist, dass auf einen Test verzichtet wird, sobald sich die Person wehrt und deshalb eine GesundheitsgefĂ€hrdung droht, braucht es ein unabhĂ€ngiges Monitoring sowohl bei der ZufĂŒhrung der betroffenen Personen zum Test als auch wĂ€hrend der DurchfĂŒhrung des Tests.

Reiseverbot fĂŒr vorlĂ€ufig Aufgenommene: StĂ€nderatsentscheid nicht nachvollziehbar

Die SFH bedauert den Entscheid des StĂ€nderats zu den geplanten punktuellen Anpassungen der vorlĂ€ufigen Aufnahme. Der Rat hat der vom Bundesrat vorgeschlagenen Revision des AuslĂ€nder- und Integrationsgesetzes (AIG) zugestimmt. Der Gesetzesentwurf beinhaltet insbesondere eine unverhĂ€ltnismĂ€ssige und nicht akzeptable VerschĂ€rfung der Reiseverbote fĂŒr vorlĂ€ufig Aufgenommene. Aus Sicht der SFH sind die generellen Reiseverbote in Heimat- und in Drittstaaten unvereinbar mit den Grundrechten der betroffenen Personen. Der StĂ€nderat verwarf die vom Nationalrat beschlossene ErgĂ€nzung im Gesetz, wonach Reisen im Schengen-Raum ausnahmsweise möglich sein sollen – namentlich zu Ausbildungszwecken, fĂŒr den Besuch von Familienangehörigen oder fĂŒr die Teilnahme an Sport- und KulturanlĂ€ssen. Angesichts der Tatsache, dass Reisen fĂŒr vorlĂ€ufig Aufgenommene bereits heute nur ausnahmsweise und unter sehr strengen Bedingungen bewilligt werden, ist der StĂ€nderatsentscheid nicht nachvollziehbar. Die SFH fordert den Nationalrat daher auf, nicht auf den Ă€usserst restriktiven Kurs des StĂ€nderats einzuschwenken, sondern zumindest an den ausnahmsweisen Reisemöglichkeiten fĂŒr vorlĂ€ufig Aufgenommene im Schengen-Raum festzuhalten.

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