Frontex-Beschwerden: Rechtsschutz ist für Zusatzaufgabe zu entschädigen

29. Juni 2022

Asylsuchende, die in der Schweiz ankommen und deren Menschenrechte bei Frontex-Einsätzen an der EU-Aussengrenze verletzt wurden, sollen sich besser wehren können: Die Rechtsvertreter*innen und -berater*innen unterstützen sie künftig im Beschwerdeverfahren der europäischen Grenzschutzagentur. Die Schweizerische Flüchtlingshilfe (SFH) begrüsst die vom Bundesrat beschlossene Massnahme, fordert jedoch eine ausreichende Finanzierung des Rechtsschutzes für diese Zusatzaufgabe. Zudem muss sich die Schweiz verstärkt für die Verbesserung des Grundrechtsschutzes an den EU-Aussengrenzen und eine umfassende Reform von Frontex einsetzen.

Nach dem Volks-Ja vom 15. Mai 2022 zur Übernahme der neuen Frontex-Verordnung der EU hat der Bundesrat heute die erforderlichen Rechtsanpassungen per September in Kraft gesetzt. Die dazu verabschiedeten Ausführungsverordnungen gehen zwar in die richtige Richtung, reichen aus Sicht der SFH aber nicht aus.

Zwar unterstützt die SFH das Ziel: Asylsuchenden in der Schweiz, die im Zusammenhang mit Frontex-Einsätzen Opfer von Menschenrechtsverletzungen wurden, soll ein effektiverer Zugang zum Beschwerdeverfahren der europäischen Grenzschutzagentur ermöglicht werden. Zu begrüssen ist grundsätzlich auch, dass dazu die Rechtsvertreter*innen der vom Bund mandatierten Leistungserbringer und anerkannten kantonalen Rechtsberatungsstellen die betroffenen Asylsuchenden künftig informieren, beraten und bei der Einreichung einer Frontex-Beschwerde unterstützen sollen.

Mehrkosten sind absehbar

Doch lässt der Bundesrat bei seiner Massnahme leider die nötige Konsequenz vermissen. So wird dem Rechtsschutz damit zwar eine wichtige Zusatzaufgabe zugewiesen, die weit über dessen Kapazitäten und bisheriges Mandat hinausgeht – aber ohne dass für diesen erheblichen Mehraufwand auch eine zusätzliche Entschädigung erfolgt. Vorgesehen ist lediglich ein Monitoring der damit verbundenen Kostenentwicklung. Das ist aus Sicht der SFH aus mehreren Gründen nicht nachvollziehbar:

  • Frontex-Beschwerden betreffen Verletzungen von Grundrechten gemäss Grundrechtecharta der EU. Das Verfahren und das Sachgebiet unterscheiden sich damit massgeblich vom Rechtsschutz im Rahmen des schweizerischen Asylrechts, wozu die Rechtsvertreter*innen und -berater*innen ausschliesslich ausgebildet und mandatiert sind.
  • Die seriöse Unterstützung bei einer Frontex-Beschwerde bedingt in aller Regel fundierte Abklärungen. Diesen erheblichen Zusatzaufwand kann der Rechtsschutz nicht einfach nebenher, zusätzlich zu den bisherigen Aufgaben im eng getakteten beschleunigten Verfahren erbringen.
  • Die neu vorgesehenen Aufgaben erfordern stattdessen spezifisches Fachwissen im Bereich der Menschenrechte sowie im europäischen Recht – also Fachexpert*innen mit anderen Kompetenzen und Profilen, die zusätzlich rekrutiert werden müssen.
     

Die SFH hält deshalb an ihrer Forderung fest, die sie bereits in der Vernehmlassung geäussert hat: Die Zusatzaufgabe für den Rechtsschutz ist ausreichend zu finanzieren und so abzugelten, dass dafür qualifizierte Grundrechtsexpert*innen angestellt werden können, welche Asylsuchende bis zum Abschluss des Frontex-Beschwerdeverfahrens unterstützen und beraten sollen. Dabei sind aus Sicht der SFH auch gemeinsame Lösungen der mandatierten Rechtsschutzakteure in den verschiedenen Asylregionen zu prüfen.

Bundesrat weiterhin in der Pflicht

Die beschlossenen Umsetzungsmassnahmen in der Schweiz können die grundlegenden Mängel beim Menschenrechtsschutz von Frontex nicht beheben. Der Bundesrat steht daher weiterhin in der Pflicht: Die Schweiz muss sich verstärkt für die Verbesserung des Grundrechtsschutzes an den EU-Aussengrenzen und eine umfassende Reform der europäischen Grenzschutzagentur einsetzen. Aus Sicht der SFH braucht es eine konsequente Neuausrichtung von Frontex, die den Schutz und die Wahrung der Menschenrechte von Geflüchteten ins Zentrum stellt.

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