Familiennachzug bei vorläufiger Aufnahme: weitere Anpassungen nötig

22. August 2024

Die Schweizerische Flüchtlingshilfe (SFH) begrüsst grundsätzlich, dass die Wartefrist beim Familiennachzug von vorläufig Aufgenommenen von drei auf zwei Jahre reduziert werden soll. Die geplante Gesetzesänderung darf jedoch nicht dazu führen, dass den Betroffenen weniger Zeit zur Verfügung steht, die übrigen Voraussetzungen für den Familiennachzug zu erfüllen. Das Recht auf Familienleben ist ein fundamentales Menschenrecht. Aus Sicht der SFH sollen alle Schutzberechtigten in der Schweiz dasselbe Recht auf Familiennachzug haben ohne weitere Voraussetzungen.

Vorläufig aufgenommene Personen mĂĽssen gemäss Ausländer- und Integrationsgesetz (AIG) bis anhin drei Jahre warten, bevor sie ein Gesuch um Familiennachzug stellen dĂĽrfen. 2022 kam das Bundesverwaltungsgericht in einem Grundsatzurteil zum Schluss, dass die Schweiz die Wartefrist aufgrund eines Urteils des Europäischen Gerichtshofes fĂĽr Menschenrechte (EGMR) anpassen muss. Mit der nun geplanten Gesetzesänderung soll daher die Wartefrist von drei auf zwei Jahre verkĂĽrzt werden. 

Familiennachzug nicht erschweren

Die SFH begrĂĽsst grundsätzlich die vorgesehene VerkĂĽrzung der Wartefrist. Sie fordert in ihrer Vernehmlassungsantwort jedoch, dass dies nicht de facto dazu fĂĽhrt, dass der Familiennachzug in der Praxis erschwert oder gar verunmöglicht wird.  

Denn fĂĽr eine Bewilligung gelten neben der Wartefrist zusätzliche Bedingungen wie etwa die vollständige Unabhängigkeit von der Sozialhilfe und das Vorhandensein einer genĂĽgend grossen Wohnung. Bis die Betroffenen diese hohen Anforderungen erfĂĽllen können, brauchen sie eine gewisse Zeit. Der aktuelle Gesetzesvorschlag berĂĽcksichtigt dies indes nicht. Er hätte vielmehr zur Folge, dass nicht nur die Wartefrist verkĂĽrzt wĂĽrde, sondern zugleich auch die maximale Gesamtfrist, um die Voraussetzungen zu erfĂĽllen und einen Familiennachzug zu beantragen.  

Dies ist insbesondere fĂĽr den Nachzug von Kindern ĂĽber 12 Jahren problematisch, da fĂĽr sie der Antrag innerhalb von 12 Monaten nach Ablauf der Wartefrist gestellt werden muss. Insgesamt hätten die Betroffenen so nur noch drei statt vier Jahre Zeit, die strengen Bedingungen fĂĽr den Familiennachzug zu erfĂĽllen. Spätere Anträge auf Familiennachzug werden kaum noch bewilligt. Die SFH fordert daher, den Gesetzestext so anzupassen, dass er insgesamt nicht zu einer VerkĂĽrzung des Zeitraumes fĂĽhrt, in welchem ein Familiennachzug möglich ist. 

Verhältnismässigkeit wahren

Die SFH fordert ausserdem, im Gesetzestext ausdrĂĽcklich darauf hinzuweisen, dass die Verhältnismässigkeit gewahrt werden soll. Ein Familiennachzug vor Ablauf der Wartefrist muss im Einzelfall möglich sein. Insbesondere ist das Kindeswohl zu beachten sowie die Zumutbarkeit fĂĽr die Familie, im Ausland zu warten. Denn oft sind dort zurĂĽckgebliebene Familien aufgrund der katastrophalen Situation vor Ort gezwungen, in andere Regionen innerhalb oder ausserhalb des Herkunftslandes zu fliehen und dort unter prekären Bedingungen zu leben – u.a. ohne Schulbildung fĂĽr die Kinder, ohne sanitäre Anlagen und ohne medizinische Versorgung. In solchen Fällen ist es nicht nachvollziehbar, auf der Einhaltung von Wartefristen zu beharren – zumal dann, wenn die in der Schweiz aufgenommene Person aufgrund ihrer ausserordentlichen IntegrationsbemĂĽhungen bereits alle Voraussetzungen fĂĽr die Bewilligung des Gesuchs erfĂĽllt. 

Gleiches Recht fĂĽr alle Schutzberechtigten

Das Recht auf Familienleben ist ein fundamentales Menschenrecht, das sowohl in der Europäischen Menschenrechtskonvention als auch in der Schweizerischen Bundesverfassung verankert ist. Die bestehenden Einschränkungen des Familiennachzugs bei der heutigen vorläufigen Aufnahme stehen nicht im Einklang mit dem Grundrecht auf Familienleben. Aus Sicht der SFH sollen alle Schutzberechtigten in der Schweiz – also sowohl anerkannte Flüchtlinge wie vorläufig aufgenommene Personen und Schutzbedürftige mit Status S – dasselbe Recht auf Familiennachzug haben, ohne weitere Voraussetzungen.

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