Die EU-Kommission hat heute ihre Vorschläge für einen neuen europäischen Pakt zu Migration und Asyl präsentiert. Vom angekündigten «Neuanfang» in Europas Umgang mit Flucht und Geflüchteten kann dabei keine Rede sein: Die EU-Kommission hat es verpasst, die gemeinsame europäische Asyl- und Migrationspolitik künftig stärker an den Grundwerten auszurichten, auf denen die EU aufbaut: Menschenwürde, Rechtsstaatlichkeit, Menschenrechte.
Stattdessen liegt der Fokus der vorgeschlagenen Massnahmen noch stärker auf Abwehr, Kriminalisierung und innerer Sicherheit. Ein strengeres Grenzregime, Schnellverfahren an der Grenze, Kooperation mit Drittstaaten wie der Türkei und effizientere Abschiebungen bilden die Schwerpunkte des neuen Paktes. Damit haben sich innerhalb der EU augenscheinlich jene Dublin-Mitgliedländer durchgesetzt, die sich weigern, Asylsuchende aufzunehmen und damit ihre Verantwortung und ihre internationalen Verpflichtungen wahrzunehmen. Leidtragende sind die Geflüchteten, die in Europa Schutz suchen – es droht die grosse Gefahr, dass ihre individuellen Rechte geschwächt werden.
Das zeigt sich vorab bei den vorgesehenen Screenings und Schnellverfahren an der Grenze. Die EU-Kommission setzt hier faktisch weiter auf den 2015 eingeführten «Hotspot»-Ansatz, der zu den Flüchtlingslagern im Mittelmeerraum mit ihren menschenunwürdigen Zuständen geführt hat und dessen Scheitern die humanitäre Katastrophe in Moria unmissverständlich aufzeigt.
Faire Verfahren unter menschenwürdigen Bedingungen mit einer gründlichen individuellen Prüfung der Fluchtgründe sind in Massenlagern an der Grenze mit Schnellverfahren kaum durchführbar. Erste Erfahrungen der SFH mit dem neuen Schweizer Asylsystem haben gezeigt, dass ein schnelles Verfahren nur in einem sehr gut ausgestatteten und durchdachten Umfeld und flankierenden Massnahmen funktionieren kann – etwa mit der Unterstützung einer unabhängigen Rechtsvertretung und einer individuellen Beratung für jede asylsuchende Person.
Die SFH sieht denn auch aufgrund der bisherigen Erfahrungen mit den EU-Hotspots insbesondere in der Ägäis die Gefahr weiterer Menschenrechtsverletzungen und zermürbender Verfahren für die Betroffenen. Zwar ist zu begrüssen, dass unbegleitete Minderjährige und Familien mit kleinen Kindern kein Grenzverfahren durchlaufen sollen. Unklar bleibt jedoch, wie die besondere Verletzlichkeit von anderen Schutzsuchenden eruiert und angemessen berücksichtigt werden soll.
Ein kleiner Lichtblick für die überlasteten Staaten an der EU-Aussengrenze ist einzig, dass der vorgeschlagene Pakt einen – wenn auch eingeschränkten – Relocation-Mechanismus vorsieht: Asylsuchende, mit hohen Chancen auf Schutzgewährung, sollen auf verschiedene Dublin-Mitgliedstaaten verteilt werden. Eine Pflicht zur Solidarität besteht hier indes nicht. Wer sich weiter weigert, Schutzsuchende aufzunehmen, kann sich freikaufen oder nur bei den forcierten Abschiebungen mitwirken. «Flexible Solidarität» nennt das die EU-Kommission – mit dem angestrebten gemeinsamen europäischen Asylsystem ist diese Idee aber nur schwer vereinbar.
Peter Meier
Leiter Asylpolitik
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