Seit der Praxisanpassung des SEM Mitte Juli 2023 haben weibliche Asylsuchenden aus Afghanistan nach der Einzelfallprüfung ihres Gesuchs grundsätzlich Anspruch auf Asyl. Zuvor erhielten sie in der Regel einen negativen Asylentscheid verbunden mit einer vorläufigen Aufnahme, weil der Wegweisungsvollzug unzumutbar ist. Diese Praxisänderung, die das SEM im Rahmen seiner Kompetenzen und des geltenden Asylgesetzes vorgenommen hat, wollte die SVP per Motion rückgängig machen – der Nationalrat hat das heute knapp abgelehnt.
Die SFH begrüsst diesen Entscheid gegen die haltlose Forderung angesichts der katastrophalen Lage in Afghanistan. Afghanische Frauen und Mädchen sind unter dem Taliban-Regime Opfer religiös motivierter Verfolgung, sobald sie versuchen ein selbstbestimmtes, menschenwürdiges Leben zu leben. Sie haben daher grundsätzlich Anspruch auf Asyl. Geprüft wird das in jedem Einzelfall individuell.
Rechtliche Erwägungen statt parteipolitische Interessen
Der Schutzbedarf afghanischer Frauen und Mädchen ist unbestritten. Die Schweiz steht mir ihrer Praxisänderung denn auch nicht allein: Sie ist vielmehr erst verzögert zahlreichen europäischen Ländern gefolgt, die auf Empfehlung der EU-Asylagentur (EUAA) ihre Praxis bereits vorher entsprechend angepasst haben – etwa Schweden, Dänemark, Finnland, Spanien, Frankreich, Italien, Österreich, Deutschland, Belgien, Lettland, Malta und Portugal.
Die SFH fordert den Ständerat deshalb auf, dem Nationalrat zu folgen. Denn in der kleinen Kammer ist ein fast gleichlautender Vorstoss aus den Reihen der FDP hängig, der die Praxisänderung des SEM ebenfalls rückgängig machen will. Massgebend für solche Anpassungen der Asylpraxis müssen aber weiterhin allein rechtliche Erwägungen des SEM aufgrund veränderter Umstände bleiben – ideologische oder parteipolitische Interessenlagen im Parlament dürfen dabei keine Rolle spielen.
Entscheidend ist Verfolgungssituation in der Heimat
Zugleich hat der Nationalrat heute eine Motion seiner Staatspolitischen Kommission angenommen, die unter anderem verlangt, dass Afghaninnen, die sich zuletzt in einem Drittstaat aufgehalten haben, aufgrund der Verfolgungssituation in diesem Land beurteilt werden.
Die SFH geht wie der Bundesrat davon aus, dass dabei die Schutzmöglichkeiten für afghanische Frauen und Mädchen in Drittstaaten weiterhin vertieft abgeklärt werden sollen und die Prüfung der Fluchtgründe gestützt auf den Flüchtlingsbegriff der Genfer Flüchtlingskonvention und des Schweizer Asylrechts erfolgt. Demnach ist für die Anerkennung der Flüchtlingseigenschaft der «Heimatstaat» massgebend – also jenes Land, dessen Staatsangehörigkeit eine asylsuchende Person besitzt und auf das sich die Prüfung einer asylrelevanten Verfolgungssituation beziehen muss. Wenn eine afghanische Frau einen Drittstaat, in dem sie sich zuvor aufgehalten hat, um Schutz ersuchen kann, so kann bereits heute von einer inhaltlichen Prüfung zur Anerkennung der Flüchtlingseigenschaft abgesehen werden (Nichteintretensentscheid).
Eliane Engeler
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